Sonntag, 3. Januar 2010

Angriff auf Kurt Westergaard


Es gab einen versuchten Mord an Kurt Westergaard. Westergaard hat 2005 in der dänischen Zeitung Jyllands Posten eine von mehreren Karikaturen (s. oben) über den Propheten Mohammed veröffentlicht, der Anhänger des Islams heilig ist. Deshalb gab es brutale und barbarische Demonstrationen in der islamischen Welt, in der auch dänische Botschaften gestürmt wurden. Das wäre vor nicht allzulanger Zeit noch Grund für einen Krieg gewesen. Kurt Westergaard lebt seitdem unter Polizeischutz, da er noch immer von fundamentalistischen Muslimen bedroht wird.
Die Frage ist, wie weit Sympathien für solche Mordanschläge in der islamisch-stämmigen Bevölkerung in Europa und in den islamischen Ländern vorhanden sind. Es sollte keinen Generalverdacht geben, aber es kommt ja auch keine offizielle Distanzierung zu fundamentalistischer Gewalt von Muslim-Verbänden. Aber schaut man sich den Iran an, dann sieht man, dass es sehr wohl säkular denkende Muslime gibt. Es ist an der Zeit für eine Distanzierung.



Und hier noch ein auf Spiegel Online veröffentlichter Artikel von Henryk M. Broder, dem ich nur beipflichten kann:

Im Mauseloch der Angst

Von Henryk M. Broder

Das Attentat auf den Zeichner Kurt Westergaard war nicht der erste Versuch, eine tödliche Fatwa zu vollstrecken. Im Fall von Salman Rushdie vor gut 20 Jahren war der Protest laut. Heute gehen westliche Dichter und Denker in Deckung, wenn es um den Schutz "religiöser Gefühle" geht.


Im Jahre 1988 erschien Salman Rushdies Roman "Die Satanischen Verse" in der amerikanischen Originalausgabe. Worauf der iranische Staats- und Revolutionsführer, Ajatollah Chomeini, eine "Fatwa" gegen Rushdie erklärte und ein hohes Kopfgeld für dessen Ermordung auslobte. Es kam zu mehreren Anschlägen auf die Übersetzer und Verleger des Romans, wobei der japanische Übersetzer Hitoshi Igarashi ums Leben kam. Millionen von Muslimen in aller Welt, die keine Zeile des Buches gelesen und den Namen Salman Rushdie noch nie gehört hatten, wollten das Todesurteil gegen den Autor vollstreckt sehen, je schneller, desto besser, um mit seinem Blut die beschmutzte Ehre des Propheten wieder reinzuwaschen.

In dieser Atmosphäre traute sich kein deutscher Verlag, Rushdies Buch zu publizieren. Worauf einige Schriftsteller, unter ihnen Günter Grass, die Initiative ergriffen, damit Rushdies Roman in Deutschland erscheinen konnte - in einem Verlag, der ausschließlich zu diesem Zweck gegründet wurde. Er hieß ARTIKEL 19 - wie der Paragraf der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Recht auf Meinungsfreiheit garantiert - und war ein Gemeinschaftsunternehmen, an dem Dutzende von Verlagen, Organisationen und Einzelpersonen beteiligt waren, darunter Bertelsmann, Fischer, Hoffmann & Campe, Suhrkamp und Wagenbach, der Verband deutscher Schriftsteller und das PEN-Zentrum der Bundesrepublik, Norbert Blüm und Oskar Lafontaine, Hans Magnus Enzensberger und Klaus Staeck, Frank Schirrmacher und Roger Willemsen. Es war die breiteste Koalition, die je in der Bundesrepublik zustande gekommen war.

Verständnis für die verletzten Gefühle der Muslime

17 Jahre später, nachdem die dänische Tageszeitung "Jyllands-Posten" auf einer Seite ein Dutzend Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hatte, kam es in der islamischen Welt zu ähnlichen Reaktionen: Millionen Muslime zwischen London und Jakarta, die keine der Karikaturen gesehen oder auch nur den Namen der Zeitung je gehört hatten, demonstrierten gegen die Beleidigung des Propheten und verlangten die angemessene Bestrafung der Übeltäter: mit dem Tode. Osama bin Laden ging so weit, die Auslieferung der Zeichner zu verlangen, um sie von einem islamischen Gericht aburteilen zu lassen.

Doch anders als im Falle von Rushdie solidarisierte sich diesmal kaum jemand mit den bedrohten dänischen Karikaturisten. Im Gegenteil. Günter Grass, der die ARTIKEL-19-Aktion angestoßen hatte, äußerte sein Verständnis für die verletzten Gefühle der Muslime und die daraus resultierenden gewalttätigen Reaktionen; diese seien, so Grass, eine "fundamentalistische Antwort auf eine fundamentalistische Tat", womit er eine Äquidistanz zwischen den zwölf Karikaturen und den Mordaufrufen auf die Karikaturisten herstellte. Bei der Gelegenheit wurde Grass auch grundsätzlich: "Wir haben das Recht verloren, unter dem Dach auf freie Meinungsäußerung Schutz zu suchen."

Der damalige britische Innenminister Jack Straw nannte die Veröffentlichung der Karikaturen "unnötig, unsensibel, respektlos und falsch". Der "Vorwärts", das Organ der SPD, verteidigte die Meinungsfreiheit im Allgemeinen, meinte aber, in diesem speziellen Fall würden die Dänen die Freiheit "missbrauchen, nicht im rechtlichen, aber im politischen-moralischen Sinne". Fritz Kuhn, 1955 geboren, hatte ein Déjà-vu: "Mich haben sie (die Karikaturen) an die antijüdischen Zeichnungen in der Hitler-Zeit vor 1939 erinnert." Womit der damalige Fraktionschef der Grünen bewies, dass er entweder ein sensationelles pränatales Gedächtnis oder noch keine einzige antisemitische Karikatur aus dem "Stürmer" gesehen hat.

Als würden Eunuchen über Sex reden

Es war, als würden Blinde über Kunst, Taube über Musik und Eunuchen über Sex diskutieren - vom Hörensagen, denn abgesehen von "taz", "Welt" und "Zeit" waren alle deutschen Zeitungen und Magazine der Empfehlung von Claudia Roth gefolgt - "Deeskalation beginnt zu Hause" - und hatten auf einen Abdruck der Karikaturen vorsorglich verzichtet. So wie es auch der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter geraten hatte: "Der Westen sollte alle Provokationen unterlassen, die Gefühle von Erniedrigung und Demütigung hervorrufen..." Wobei Richter offen ließ, ob "der Westen" auch das Tragen von Miniröcken, den Genuss von Schweinefleisch und die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften unterlassen sollte, um keine Gefühle von Erniedrigung und Demütigung in der islamischen Welt hervorzurufen.

Wären die Mohammed-Karikaturen flächendeckend in der deutschen Presse nachgedruckt worden, hätten die Zeitungsleser sich selbst ein Bild machen können, wie exzessiv harmlos die zwölf Zeichnungen waren und wie bizarr und gegenstandslos die ganze Debatte, statt die Beurteilung "Experten" zu überlassen, die jede Kritik am Papst und der Kirche, jede blasphemische Kunstaktion im Namen der Meinungsfreiheit verteidigen, im Falle der Mohammed-Karikaturen allerdings plötzlich der Ansicht waren, man müsse auf religiöse Gefühle anderer Menschen Rücksicht nehmen.

Das freilich war nur eine Ausrede, eine Art Mauseloch der Angst. Denn zwischen der Rushdie-Affäre und dem Karikaturen-Debakel war einiges passiert: 9/11, die Anschläge von London, Madrid, Bali, Jakarta, Djerba, die von manchen Kommentatoren ebenfalls als Ausdruck der Erniedrigung und Demütigung der islamischen Welt durch den Westen interpretiert wurden. Vor dieser Drohkulisse schien es vernünftiger und vor allem sicherer, "Respekt" vor religiösen Gefühlen zu bekunden als auf dem Recht auf freie Meinungsäußerung zu bestehen.

Das Recht zu beleidigen ist wichtiger als der Schutz vor Beleidigung

Und es waren nur wenige, die aus der Reihe tanzten, der britische Komiker Rowan Atkinson ("Mr. Bean") erklärte, "das Recht zu beleidigen" sei "sehr viel wichtiger, als das Recht, nicht beleidigt zu werden", die aus Somalia stammende und damals in Holland lebende säkulare Muslimin Ayaan Hirsi Ali schrieb ein Manifest, das mit den Worten begann: "I am here to defend the right to offend."

Aber das waren Ausnahmen. Sogar der damalige französische Präsident, Jacques Chirac, vergaß vorübergehend, dass er die "Grande Nation" vertritt, zu der auch Sartre, Voltaire und Victor Hugo gehören, und dekretierte, dass "alles, was den Glauben anderer, zumal den religiösen Glauben, beleidigen könnte, vermieden werden muss".

So begann die geforderte "Deeskalation" nicht nur "zu Hause", sie endete auch vor der eigenen Haustür. Denn die andere Seite denkt nicht daran zu deeskalieren. Die Fatwa gegen Salman Rushdie ist immer noch in Kraft, der Mordanschlag gegen Kurt Westergaard war nicht der erste Versuch, ein Todesurteil zu vollstrecken, dem keine Straftat zugrunde liegt. Der Islam mag in der Theorie eine "Religion des Friedens" sein, die Praxis sieht anders aus.

Mitten in Berlin lebt eine deutsch-türkische Rechtsanwältin, die vor kurzem abtauchen musste, weil sie mit Morddrohungen überzogen wurde, nachdem sie ein Buch veröffentlicht hatte. Es enthält keine einzige Mohammed-Karikatur, allein der Titel ist eine Provokation, die ans Eingemachte geht: "Der Islam braucht eine sexuelle Revolution"

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