Dienstag, 20. Juli 2010

Afghanistan-Konferenz: Wunschkonzert in Kabul

Mission gescheitert. Der Westen zieht ab und die Taliban übernehmen wieder die Kontrolle.

Afghanistan-Konferenz
Wunschkonzert in Kabul

Ein Kommentar von Matthias Gebauer, Kabul

Die Nato-Außenminister geben sich auf der Afghanistan-Konferenz in Kabul Illusionen hin: Angeblich wird die Korruption endlich bekämpft, die Regierung arbeitet solide, der Abzug erfolgt 2014. Doch die Realität sieht anders aus - Nutznießer ist am Ende Präsident Karzai, der seine Macht betonieren will.

Von Afghanistan haben die rund 70 Spitzenpolitiker bei ihrer Anreise zum Außenministerium nicht viel gesehen. Mit ihren Delegationskonvois - angeführt von martialischen Panzerwagen - rasen Uno-Chef Ban Ki Moon, Hillary Clinton, Guido Westerwelle und Co. die rund vier Kilometer vom Flughafen zum Ministerium - durch ein menschenleeres Kabul. Das Gebäude gleicht einem Bunker, am Eingang stehen ein paar Dutzend Mädchen und Jungen mit bunten Fahnen. Eine Minute später verschwinden die Chefdiplomaten im prunkvollen Festsaal.

Die hektische Anreise ohne Blick für Stadt und Land wirkt wie ein Symbol für die Konferenz, auf der so große Erwartungen lasten. Zum ersten Mal tagen die Alliierten direkt im Krisengebiet selbst. Doch die Realität im Sorgenland bleibt ausgeblendet. Am Konferenztisch - übrigens eine Spende aus Deutschland - soll nicht mehr diskutiert oder analysiert werden. Es geht darum, alle auf das gemeinsame Ziel einzuschwören.

Konferenz als Wunschkonzert

Nato und verbündete Truppensteller wollen aus Afghanistan abziehen - also muss die Realität anders dargestellt oder gar ausgeblendet werden, damit der baldige Abzug plausibel und möglich scheint.

Folglich mutierte die Konferenz zu einer Art Wunschkonzert - für beide Seiten. Gegenseitig versicherte man sich, dass man das gemeinsame Ziel erreichen kann.

Bis 2014 sollen die Afghanen die Sicherheitsverantwortung für alle Regionen in ihrem krisengeschüttelten Land übernommen haben. Beginnen soll dieser Transfer in ausgewählten Bezirken schon im kommenden Jahr - das zumindest betonen die Minister in Kabul immer wieder. 2011 soll die Kontrolle von den hochgerüsteten spezialisierten Nato-Truppen auf die schlecht ausgebildete Afghanische Nationalarmee (ANA) übergehen. Dabei künden die Berichte der US-Armee, die seit Jahren die ANA in großem Stil ausbildet, fast nur von Problemen statt von Erfolgen. Und die meisten Nationen haben mit ihren Trainingsprogrammen noch gar nicht begonnen.

Doch Scheitern ist - wie so oft bei der Nato - schlicht keine Option. Mit einer solchen Haltung ergibt die Konferenz keinen Sinn.

Karzai will versöhnen, die Taliban höhnen

Dann Auftritt Karzai: In einer schier endlosen Rede verspricht der Präsident der Weltgemeinschaft das, was er schon Dutzende Male angekündigt hat:

* Ja, er werde umgehend gegen die Korruption vorgehen.
* Ja, er werde umgehend seine völlig marode Regierung modernisieren, sie solle nicht mehr das Land durch Inkompetenz und Vetternwirtschaft ruinieren.
* Und natürlich werde er auch in wenigen Jahren die Taliban zur Versöhnung bringen - die allerdings haben seine Angebote bisher noch immer ausgeschlagen und höhnen über den Politiker, der noch nicht einmal in Kabul der mächtigste Mann ist.

Wäre das Thema Afghanistan nicht so ernst, könnte man die Rede Karzais belächeln. Bis jetzt hat keine der Zusagen, wie er sie etwa im Januar in London gemacht hat, zu konkretem Handeln seiner Regierung geführt. Karzai spricht von blühenden Landschaften, von wirtschaftlichen Chancen, von der Achtung für Demokratie und Menschenrechte. Dabei ist er durch massiven Wahlbetrug ins Amt gelangt und schränkt Bürgerrechte nach Belieben ein.

US-Präsident Barack Obama hat das baldige Ende der US-Mission angekündigt. Und hatten sich die Nato-Staaten vormals das hehre Ziel "Demokratie in Afghanistan" auf die Fahnen geschrieben, sprechen sie mittlerweile von "demokratischen Grundzügen". Jetzt hat der Paschtune erkannt, dass der Westen abziehen wird - und zwar egal wie die Situation am Hindukusch letztlich ist.

Das Millionengeschäft mit der Sicherheit

Karzai sucht nun nach einem Weg, sein Überleben zu sichern. Folglich dealt er mit den dunklen Mächten im Land. Einige der blutrünstigsten Warlords saßen bereits in der zweiten Reihe hinter ihm am Konferenztisch.

Erreicht hat Karzai bereits, dass statt 20 bald 50 Prozent der Entwicklungshilfe-Milliarden direkt an die afghanische Regierung fließen. Damit haben der Präsident und seine Mannschaft direkte Kontrolle über ein riesiges Budget. Und damit kann man Macht kaufen. Zudem will Karzai private Sicherheitsdienste strenger kontrollieren. Er kleidet das in die Forderung nach afghanischer Souveränität, spricht immer wieder von ausländischen Söldnern. In Wirklichkeit geht es um ein Millionengeschäft. Sein Bruder spielt dabei eine tragende Rolle.

Nebulöses Aussteigerprogramm

Doch von Druck auf Karzai, von mahnenden Worten, dass man Taten erwarte, war auf der Konferenz kaum etwas zu hören. Allein US-Außenministerin Hillary Clinton betonte, dass der Weg bis zum Abzug weitaus schwieriger sei, als viele annehmen. "Wir brauchen noch viel mehr Schritte in die richtige Richtung", sagte Clinton. Die übrigen Chefdiplomaten, Guido Westerwelle eingeschlossen, taten so, als ob die schwierigen Aufgaben von Karzais Regierung schon angegangen worden seien. Im kleinen Kreis sagte Westerwelle später vorsichtig, man habe bei Karzais Rede "sehr genau" hingehört.

Selbst das nebulöse Taliban-Aussteigerprogramm beklatschen die Minister. Ohne jedes Konzept sponsert die Staatengemeinschaft mit mindestens zehn Millionen Euro im ersten Jahr ein Programm, das durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vielleicht ein paar hundert Taliban-Fußsoldaten von der Waffe weglockt. Wie jedoch die Anführer der Taliban oder anderer mächtiger Aufständischen-Gruppen zur Integration gebracht werden sollen, kann und muss Karzai nicht erklären.

Aussöhnung hört sich schließlich gut an und lässt sich besser verkaufen als ein langer, verlustreicher Kampf gegen die Taliban.

Der Westen hat sich, das wurde auf der Kabul-Konferenz sichtbar, mit der Ankündigung seines Rückzugs endgültig seiner Druckmittel beraubt. Bis 2014 sind die Entwicklungshilfemilliarden zugesagt. Karzai plant augenscheinlich schon für die Zeit danach - wie er überleben und sich und seinen Getreuen die Macht und das ein oder andere Geschäft sichern kann. Es wird in den Jahren danach nicht das Afghanistan entstehen, das sich viele in den USA und Europa erträumt haben.

Spiegel Online

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