Mittwoch, 11. August 2010

Iran: "Bei Steinigungen wird jeder zum Komplizen"

"Bei Steinigungen wird jeder zum Komplizen"

Die Willkür des iranischen Regimes ist Berechnung, so Menschenrechtlerin Mina Ahadi. Hinrichtungen dienten als Machtdemonstration.



Solidaritätsdemontration für die im Iran von der Steinigung bedrohte Sakineh Ashtiani

von Daniel-Dylan Böhmer

WELT ONLINE: Frau Ahadi, seit Jahren kämpfen Sie um das Leben von Sakineh Mohammadi Ashtiani, die wegen angeblichen Ehebruchs zum Tod durch Steinigung verurteilt ist. Kürzlich setzte das Gericht die Vollstreckung der Strafe aus. Beruhigt Sie das?

Mina Ahadi: Keineswegs. Die Entscheidung zeigt zwar, dass die weltweiten Proteste nicht ohne Wirkung geblieben sind. Aber die Steinigung ist nur vorläufig gestoppt. Das Urteil könnte auch in Tod durch Erhängen umgewandelt werden. Vergangene Woche ist der Anwalt von Frau Ashtiani zum Obersten Gericht in Teheran bestellt worden, wo ihm mitgeteilt wurde, dass man keinen Grund sehe, das Todesurteil zurückzunehmen. Ich habe schon für viele Todeskandidaten gekämpft, und ich habe es mehr als einmal erlebt, dass Menschen auf der ganzen Welt demonstriert haben, dass wir glaubten, jetzt hätten wir wirklich etwas erreicht, und am Tag danach kam die Nachricht, dass das Urteil vollstreckt wurde. Unberechenbarkeit ist typisch für die Taktik des Regimes. So vergrößert es seine Macht. Weil man nie weiß, wann es passiert und wen es trifft. Jeder muss Angst haben.
Hintergrund
Der Fall Sakineh Ashtiani

In der nordwestiranischen Stadt Täbris sitzt eine Frau im Gefängnis und kann jederzeit gesteinigt werden. Sakineh Mohammadi Ashtiani (42) wird bezichtigt, Ehebruch begangen zu haben. Der Fall hat weltweit Aufsehen erregt, weil die Strafe so archaisch ist und weil die Beweisführung gegen die Frau so absurd erscheint.

Im Mai 2006 wurde Ashtiani zunächst verurteilt, weil sie nach dem Tod ihres Mannes „unerlaubte Beziehungen“ zu zwei Männern gehabt habe. Dafür erhielt sie 99 Peitschenhiebe. Im Herbst desselben Jahres wurde der eine der Männer angeklagt, Ashtianis Ehemann ermordet zu haben. Verurteilt wurde jedoch Ashtiani, und zwar diesmal zum Tod durch Steinigung – die Richter behaupteten nun, die Beziehung zu einem der Männer habe schon zu Lebzeiten des Mannes begonnen. Zwei der fünf Richter stimmten gegen das Urteil mit der Begründung, es lägen keine Beweise für den Ehebruch vor. Ein durch körperliche Gewalt erzwungenes Geständnis zog Ashtiani zurück. Verurteilt wurde sie trotzdem, aufgrund eines Beweismittels, dass es nur im Iran gibt: die sogenannte Erkenntnis des Richters, also dessen subjektive Meinung.

Obwohl der Vollzug des Urteils aufgrund internationaler Proteste vorerst gestoppt wurde, betonen iranische Beamte, eine Steinigung sei jederzeit möglich. So erlebt die aus dem Iran stammende Menschrechtsaktivistin Mina Ahadi, die Kontakt zu Ashtianis Kindern hält und Proteste organisiert, ein ständiges Auf und Ab.

Den Alltag unter dem mörderischen Regime kennt die 1990 geflohene und inzwischen in Deutschland lebende Kommunistin gut. Nach der Islamischen Revolution im Iran 1979 wurde sie selbst zum Tode verurteilt, ihr erster Ehemann wurde 1980 hingerichtet, in eben jenem Gefängnis, in dem heute Sakineh Mohammadi Ashtiani auf ihre Hinrichtung wartet.

WELT ONLINE: Geht es bei der Steinigung um Macht oder wirklich um Glauben?

Ahadi: Die Wiedereinführung der Steinigung gehört zum modernen Islamismus. Auch die Taliban praktizieren sie zum Beispiel. Bei der Islamischen Revolution im Iran ging es vielleicht anfänglich für einige um die Religion, und auch heute sind tatsächlich viele Führer im Iran sehr fromm – aber aus dem Regime ist im Laufe der Jahrzehnte ein Machtsystem geworden, das zuallererst um sein Überleben kämpft. Dabei spielt der Glaube der Bevölkerung eine wichtige Rolle: Der Rückgriff auf religiöse Gebote erleichtert es ungemein, einzelne Gruppen zu entrechten – im Islam zum Beispiel Frauen. Wenn man es schafft, einen Menschen in ein Leichentuch gewickelt am helllichten Tag auf die Straße zu schleppen und von der Menge ermorden zu lassen, dann ist das vor allem eine unglaubliche Machtdemonstration.

WELT ONLINE: Warum immer wieder Frauen?
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Ahadi: Es gibt im Nahen Osten nun einmal eine starke patriarchale Tradition. Daraus macht der Islamismus ein Machtangebot an jeden Mann und verhindert gleichzeitig Solidarität mit den Frauen. Ich habe das erlebt, als die Revolution 1979 losbrach. Damals haben wir Studenten eine Demonstration gegen den neuen Kopftuchzwang veranstaltet. Da kamen 2000 Frauen und vielleicht 300 Männer – und ein paar 18- bis 20-jährige Jungs, die religiöse Parolen gegen uns brüllten. Wir haben weitergemacht. Nach ein paar Wochen kamen nur noch 50 Frauen und höchstens drei Männer, und sie haben uns mit Kalaschnikows auseinandergetrieben. Das ändert sich nur langsam. Bei den Protesten gegen die offensichtliche gefälschte Präsidentenwahl im vergangenen Jahr gingen Millionen auf die Straße. Gegen die Steinigung von Frauen demonstriert auch Jahre nach der Revolution niemand im Iran.

WELT ONLINE: Was unterscheidet in Ihren Augen die Steinigung von anderen Hinrichtungsarten?

Ahadi: Dass sich das Regime dabei alle zu Komplizen macht. Traditionell finden Steinigungen öffentlich statt. Wer nicht hingeht, verzichtet auf die Möglichkeit einzuschreiten. Und die Zuschauer sind zugleich die Ausführenden. Jeder soll einen Stein werfen, und nach dem iranischen Gesetz darf kein Stein groß genug sein, um allein zu töten. So hat jeder Anteil an diesem Mord, und zugleich weiß niemand, wessen Stein der entscheidende war. Niemand ist schuld an diesem Mord, und zugleich haben alle eine angeblich heilige Handlung begangen...

WELT ONLINE: ...ein verbindendes Erlebnis anonymer Allmacht.

Ahadi: Genau. Aber natürlich sind Steinigungen auch einfach besonders grausam. Es kann bis zu zwei Stunden dauern, bis die Delinquentin oder der Delinquent tot ist. Manche verlieren auch nur das Bewusstsein und werden möglicherweise lebend begraben. Das haben mir jedenfalls Augenzeugen in mehreren Fällen berichtet.

WELT ONLINE: Dennoch wird nur bei einem Bruchteil der Exekutionen im Iran gesteinigt – 2009 etwa war es eine von 388 Hinrichtungen. Dabei wurde ein Mann gesteinigt. Und dieser Tage ist der Fall des 18-jährigen Ebrahim Hamidi bekannt geworden, der wegen angeblicher Homosexualität erhängt werden soll.

Ahadi: Nach dem Gesetz kann auch ein Mann gesteinigt werden, wenn er die Ehe bricht, nur in der Praxis sind es viel häufiger Frauen, die gesteinigt werden. Aber natürlich geht es nicht um Steinigungen allein und es geht nicht nur um Frauen. Es geht darum, dass das iranische Regime zunehmend Hinrichtungen einsetzt, um die Bevölkerung insgesamt einzuschüchtern. Schon vor der sogenannten Präsidentenwahl im Juni vergangenen Jahres ist die Zahl der Hinrichtungen kontinuierlich gestiegen. Doch seit den wochenlangen Protesten dieser jungen Revolutionsbewegung verhängen die Mullahs – zu denen ja auch die Richter gehören, die im Iran ebenfalls Religionsgelehrte sind – immer öfter die Todesstrafe.

WELT ONLINE: Aber die „Grüne Bewegung“ scheint abgeflaut zu sein. Warum wird weiter hingerichtet?

Ahadi: Weil diese jungen Leute sie ratlos machen. Meine Generation konnten sie mit ein bisschen Antiimperialismus und Antiamerikanismus noch leichter in den Griff bekommen. Aber was sie mit dem Freiheitsdrang, mit der Lebenslust dieser jungen Leute anfangen sollen, wissen sie nicht. Gerade darum bringen sie immer öfter angeblich todeswürdiges Sexualverhalten zur Anklage. Damit signalisieren sie den jungen Oppositionellen zugleich, dass deren Proteste so etwas wie eine Perversion sind. Dabei ist das doch die Generation, die als erste von Geburt an in der Islamischen Republik gelebt hat – und sie lehnt sie dennoch ab. Einen so grundsätzlichen Angriff kann das Regime nicht akzeptieren. Darum exekutiert die Islamische Revolution ihre Kinder.

WELT ONLINE: Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel „Ich habe abgeschworen“ und gemeinsam mit anderen den Zentralrat der Ex-Muslime gegründet. Heißt das, sie machen den Islam verantwortlich für diese Grausamkeiten?

Ahadi: Unsere Initiative ist in erster Linie eine Bewegung gegen den Islamismus. Religion muss Privatsache sein, sie darf nicht die Politik oder unseren Alltag bestimmen. Das gilt aber nicht nur für den Islam. Praktisch alle Religionen fordern Gehorsam und fast alle lassen sich als Mittel zur Ausgrenzung von Menschen einsetzen. Der Islamismus ist eine frauenfeindliche und zutiefst menschenfeindliche Bewegung, die ihre Ideologie des Mordes und der Ausgrenzung mit dem Koran begründet.

WELT ONLINE: Vor etwa zwei Jahren hat eine Gruppe konservativer Abgeordneter im iranischen Parlament eine Gesetzesinitiative gestartet, um die Steinigung ganz abzuschaffen. Gibt Ihnen das nicht die Hoffnung auf eine langsame Verbesserung?

Ahadi: Das ist ein gutes Zeichen, weil es zeigt, dass die Mullahs ihre wachsende Isolierung als Problem wahrnehmen. Und sie sind international und innenpolitisch gerade wegen ihrer Menschenrechtsbilanz isoliert. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie die Steinigung ganz aufgeben. Es gehört zum Kern ihrer Machterhaltung und ihres Islamverständnisses, dass sie im Namen Gottes über Leben und Tod richten, nach den Buchstaben des Korans.

WELT ONLINE: Aber wäre es nicht besser, den Kampf um das Leben der Hinrichtungskandidaten der Diplomatie zu überlassen? Möglicherweise kann hinter den Kulissen mehr bewirkt werden, als wenn man das Regime auf offener Bühne zur Aufgabe seiner Prinzipien drängt.

Ahadi: Daran glaube ich nicht. Was hat denn all das Verständnis, was hat der kritische Dialog in den vergangenen Jahrzehnten gebracht? Selbst in den 90er-Jahren, zu Zeiten der sogenannten Reformer im Iran, wurden Menschen hingerichtet und auch gesteinigt. Irgendwo müssen wir diesem Regime eine Grenze ziehen, und die verläuft bei den menschlichen Grundrechten. Leider haben westliche Regierungen auch andere Interessen, vor allem wirtschaftliche – Deutschland ist da keine Ausnahme.

WELT ONLINE: Was haben Sie zuletzt von Frau Ashtiani gehört?

Ahadi: Sie hat immer noch große Angst, aber es geht ihr etwas besser. Ihre Kinder konnten sie besuchen, und sie hat ihnen gesagt, dass die internationale Anteilnahme ihr sehr viel Kraft gibt. In ihrem Umfeld hat die Kampagne schon etwas bewirkt. Ihrem Sohn Sajjad, er ist 22 Jahre alt, ist es jetzt gelungen, die ganze Familie zu einem Besuch im Gefängnis zusammenzutrommeln. Sie waren alle dort, mit Blumen, auch Tanten von Sakineh, Cousinen, Cousins, Brüder. Vorher haben sie das nicht gemacht. Jetzt fühlt sich Sakineh wieder mehr als Mensch wahrgenommen. Selbst wenn sie sterben muss, sagt sie, bedeutet ihr das unglaublich viel.

Welt Online

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