Donnerstag, 13. Mai 2010

Abdel-Samad: Der Koran gehört aus der Politik verbannt

«Geburtsfehler kann man nicht heilen»

Der Koran gehöre aus der Politik verbannt und auf die Privatsphäre beschränkt, sagt der Imam-Sohn Hamed Abdel-Samad.



«Unfähig, nach innen zu schauen»: Politologe und Buchautor Hamed Abdel-Samad.

Herr Abdel-Samad, was halten Sie von einem Burkaverbot?

Die Burka ist für mich ein trauriges Symbol. Aber ein Verbot bringt nichts, denn Kernprobleme werden so nicht gelöst.

Was symbolisiert denn die Burka?

Sie steht für eine rückständige Mentalität. Die Trägerin sagt damit: «Ich lebe in meiner eigenen Welt. Mich verbindet mit euch nichts, nicht einmal ein Blick.»

Was ist denn das Kernproblem?

Die weltliche Seite des Islam und die Demokratie vertragen sich wie Spinat und Tiramisu.

Das müssen Sie erklären.

Im Islam gibt Gott die Gesetze und Regeln vor, nach denen die Menschen zu leben haben und denen sie sich unterwerfen müssen. In der Demokratie aber geben sich die Menschen die Gesetze selber durch Verhandeln und durch gesunden Menschenverstand! Im Islam ist die Religion nicht verhandelbar und steht über dem Staat.

Nur eine Minderheit vertritt dies.

Ja, aber die sogenannt liberalen Muslime hört man kaum. Sie lassen sich von ein paar Dutzend Fundamentalisten, die den Ton angeben, an der Nase herumführen, und jetzt haben wir den Salat.

Wieso bleibt die Mehrheit still?

Zum einen fühlen sich diese Menschen nicht verpflichtet, sich zu jeder Schandtat, die im Namen des Islam begangen wird, zu äussern. Zum anderen können sie sich dort mit den Extremisten identifizieren, wo diese gegen den Westen wettern. Auch viele Liberale suchen die Sündenböcke für ihre eigene miese Situation im Westen. Teilweise ist das nachvollziehbar, wenn man bedenkt, was Kolonialisierung und Kriege angerichtet haben. Die Mehrheit der Muslime ist unfähig, nach innen zu schauen. Kaum jemand fragt sich: «Gibt es möglicherweise einen Geburtsfehler in unserem Glauben?»

Im Klartext: Sind der Islam und ein säkularer Verfassungsstaat vereinbar?

Der Islam hat eine spirituelle Seite, die zeitlos ist und heute noch Geltung hat. Diese ist wohl mit dem säkularen Staat und mit der Verfassung vereinbar, weil sie keine politischen Ansprüche erhebt. Die weltlich-juristische Seite allerdings hat im 21. Jahrhundert nichts zu suchen. Viele Muslime haben damit ein Problem. Hier entsteht die Unvereinbarkeit, hier fangen die Konflikte an.

... etwa mit radikalen Organisationen wie dem Islamischen Zentralrat, der muslimische Einwanderer zweiter Generation und Konvertiten anzieht. Worin besteht die Faszination?

Die moderne Welt überfordert viele Menschen, sie sind halt- und orientierungslos. Kommt dann eine biografische Wende hinzu wie etwa der Verlust der Freundin, sind viele Jugendliche anfällig für die Botschaften der Extremisten. Diese bieten eine Gemeinschaft mit klaren Anweisungen, einen klaren Glauben, der keine Zweifel zulässt. Und sie bieten auch Wärme und Anerkennung. Plötzlich heisst es: «Gott braucht dich!» Sie fühlen sich erwachsen und wichtig – die Extremisten können ihnen dann fast alles abverlangen.

Wie kommt man da wieder raus?

Nur durch geistige Stärke. Ich selber war auch einst Mitglied der radikalen Muslimbruderschaft in Ägypten. Mit 20 ging ich durch Kairo und schrie: «Tod den Juden!» Mein Vorteil war, dass ich den Koran auswendig kannte, mein Vater war Imam in Gizeh. Es kann mir so schnell keiner irgendetwas erzählen über den Koran.

Auch in der Schweiz verfallen junge Menschen dem Extremismus.

Die Orthodoxie ist tief im Islam verankert. Wir werden in Sachen Fundamentalismus schnell rückfällig. Sobald wir in einer Lebenskrise sind, kehren wir in die Moschee zurück. Nur deswegen ist man noch kein Staatsfeind, aber doch bereits anfällig für fundamentalistische Botschaften.

Verheilt der «Geburtsfehler»?

Nein, einen Geburtsfehler kann man nicht einfach heilen. Reformen funktionieren nie wirklich, ohne sich mit den Ursprüngen zu befassen. Die entscheidende Frage ist: Wann ist was schiefgelaufen im Islam? Wann wurde dem Glauben die Intoleranz gegen Andersgläubige eingepflanzt? Wieso ist es so schwierig, den Widerspruch zur Demokratie zu überwinden? Daran müssen wir arbeiten. Es bringt nichts, wenn wir an einzelnen Koranversen schrauben und glauben, dann würde der Islam demokratiefreundlich.

Was braucht es dann?

Wie wurde das Christentum aufgeklärt? Die katholische Kirche hat nicht freiwillig die Macht abgegeben, sie wurde entmachtet, weil die Menschen frei sein und selber denken wollten. Danach hat sie getrennt von der Staatsmacht ihre neue Rolle finden müssen. Und aus einer Position der Macht heraus wird sich auch der Islam nicht verändern. Wir müssen die Unantastbarkeit der Religion brechen. Der Islam ist nicht dazu gemacht, in der modernen Welt eine politische oder juristische Rolle zu spielen. Ich will den Koran nicht abschaffen, aber wir müssen ihn neutralisieren und in die Privatsphäre zurückdrängen.

Hamed Abdel-Samad, 38, wuchs in Kairo auf und studierte in Deutschland Politologie und Geschichte und lebt auch dort. Sein aktuelles Buch: «Mein Abschied vom Himmel», Fackelträger

Weltwoche

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen