Montag, 17. Mai 2010

Atomstreit: Ablenkungsmanöver in Teheran

Bildet euch nichts auf diesen Vertrag ein. Wer 30 000 Kinder in den Tod schickt und eine Botschaft in Geiselhaft nimmt, der ist zu allem fähig.


Atomstreit
Ablenkungsmanöver in Teheran

Es war ein Verhandlungsmarathon, an dessen Ende Iran der Urananreicherung im Ausland zugestimmt hat. Ist es der lange erhoffte Durchbruch im Atomstreit? Mitnichten. Ein Kommentar



Zufrieden mit dem Verhandlungsergebnis: die Präsidenten Lula (l.) und Ahmadineschad (M.) sowie Ministerpräsident Erdoğan (r.)

Freudestrahlend feierten sie ihren großen Coup: Brasiliens Präsident Luiz Inácio da Silva, der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan, Irans Präsident Mahmud Ahmadineschad sowie Revolutionsführer Ali Chamenei hatten in 18-stündigen Verhandlungen erreicht, was sich in der Tat revolutionär anhörte: Iran habe der Urananreicherung im Ausland zugestimmt.
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Wer sich nun aber im Atomkonflikt mit Teheran schon entspannt zurücklehnen möchte, sei mit einer persischen Redewendung bedacht: Zuerst war es eine Blume, jetzt schmückt uns ein ganzes Blumengedeck. Das klingt poetisch, heißt aber im Klartext: Das Problem hat einst klein begonnen, nun aber Dimensionen erreicht, die kaum noch zu beherrschen sind.

Und nur so ist dieses trilaterale Abkommen zwischen Iran, Brasilien und der Türkei zu bewerten. Die internationale Staatengemeinschaft hatte in den vergangenen sieben Jahren des endlosen Redens das iranische Atomprogramm in vielfacher Hinsicht fatalerweise unterschätzt. Schon eine atomar bewaffnete Diktatur in Teheran hätte dramatische Folgen, aber die noch viel gefährlichere Dimension eines weltweiten atomaren Wettrüsten hatte bisher so gut wie niemand bedacht.

So ist Lula da Silva nicht einfach nur als Präsident eines Landes ohne Atomwaffen nach Iran gereist, sondern als Staatsoberhaupt eines südamerikanischen Schlüsselstaates, der ebenfalls Interesse an der atomaren Bewaffnung hat. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Brasilien dieses Vorhaben gelingt, die Folgen für den südamerikanischen Kontinent werden kaum abzusehen sein.

Auch die Türkei fährt seit Erdoğans Amtsübernahme außenpolitisch in gefährlichem Fahrwasser. Wirtschaftlich und politisch hat sie sich wie noch nie zuvor an die islamistische Diktatur in Iran gebunden und gleichzeitig wird die türkische Regierung nicht tatenlos dabei zusehen, wie dort an einer Atombombe gebastelt wird. Gut möglich, dass in Ankara dann ebenfalls ein Kernwaffenprogramm in Gang gesetzt wird.

Der Vertragsabschluss an diesem Montagvormittag in Teheran ist deshalb ein Deal, der nur so aussieht wie ein Durchbruch. In Wahrheit ist es ein Bündnis gegen den Westen – unterschrieben von drei Staaten, die eine besorgniserregende Nähe zueinander suchen. Von einem Einlenken Irans im Atomstreit kann keineswegs die Rede sein.

In den Brasilien-Türkei-Iran-Vertrag aufgenommen ist nämlich nur niedrig angereichertes Uran für den iranischen Forschungsreaktor, um den es im Atomstreit überhaupt nicht geht. Die Kernfrage um iranische Anlagen mit hoch angereichertem Uran zur Herstellung von Atomwaffen wurde ausgespart. Und so überrascht es nicht, dass Irans Regierung inzwischen angekündigt hat, die Urananreicherung im eigenen Land auch künftig fortsetzen.

Vor jeder Euphorie um eine Lösung im iranischen Atomkonflikt empfiehlt es sich deshalb stets das Klein- oder Nichtgedruckte zu beachten und die wirklichen Vorgänge in Teheran zu beobachten. Versprechungen hat es in den vergangenen Jahren viele gegeben. Keine einzige ist Realität geworden. Der Schulterschluss mit Brasilien und der Türkei ist nur ein neuer Versuch des iranischen Regimes, Zeit zu gewinnen.

Die Machthaber möchten sich in den kommenden Wochen vom Druck der internationalen Staatengemeinschaft und einer schmerzvollen Sanktionsrunde befreien. Die Rechnung wird nicht aufgehen, denn diesmal, so scheint es, wurde die Taktik durchschaut. Zumal das trilaterale Abkommen völkerrechtlich keinerlei Bedeutung hat.

Nur ein unterzeichneter Vertrag mit der IAEA kann im Sinne des Völkerrechts anerkannt werden – und einen solchen Vertrag wird es mit Irans Regime nicht geben. Deshalb ist zu hoffen, dass der Druck der Weltöffentlichkeit und führender Nationen in den kommenden Wochen nicht nachlassen und die Staatengemeinschaft in Form von gezielten Sanktionen reagieren wird.

In weniger als einem Monat jährt sich der Beginn der Grünen Bewegung in Iran. Diese Zeit wollen die Machthaber nutzen, um die Straßen des Landes leer zu halten. Ein außenpolitisches Theater, wie es heute in der iranischen Hauptstadt aufgeführt wurde, passt da gut in die Kalkulation.

Ob die Aufführung allerdings wirkt, ist mehr als fraglich. Das Regime steht in nahezu jeder Hinsicht mit dem Rücken zur Wand. Als in der vergangenen Woche fünf unschuldige Menschen hingerichtet wurden, protestierten zahlreiche Studenten an der Teheraner Universität gegen ihre illegitime Führung. Vergangenen Donnerstag trat das gesamte kurdische Gebiet in einen Generalstreik. Es gibt einen noch größeren Druck, den das Regime niemals wieder loswird: den Willen der Iraner, in der Freiheit anzukommen.

Zeit Online

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