Freitag, 2. April 2010

Die beschämende Haltung des Westens zum Iran


Die beschämende Haltung des Westens zum Iran

Von Richard Herzinger

Die Kraft der Opposition reicht nicht aus, um die Verhältnisse im Iran zu verändern. Nun muss der Westen willens sein, Sanktionen auch durchzusetzen. Nur so kann er glaubhaft machen, ernsthaft für Frieden und auch Menschenrechte in der Region einzutreten. Der Grünen Revolution könnte es neuen Schwung verleihen.



Iranische Frauen, in die grünen Tücher der Opposition gehüllt, demonstrieren in Teheran für die Politik des Reformpolitikers Mussawi

Auch am heutigen Donnerstag, dem Jahrestag der Gründung der Islamischen Republik Iran vor 31 Jahren wird die iranische Opposition wieder versuchen, öffentlich Flagge zu zeigen. Doch entgegen der nicht zuletzt von Exiliranern immer wieder zur Schau gestellten Zuversicht, sie könne das Regime in absehbarer Zeit zu Fall bringen, sehen die Perspektiven für die Opposition gegenwärtig eher düster aus.

Unter dem Druck von Todesurteilen, Verhaftungen und Folter sowie durch die Flucht vieler ihrer führenden Köpfe sind die ohnehin relativ schwachen Organisationsstrukturen der „Grünen Bewegung“ stark angeschlagen. Die im Westen emphatisch herbeifantasierte „Twitter-und-Facebook-Revolution“ hat sich einstweilen als Ausgeburt von Wunschdenken erwiesen. In gewisser Weise ist die intensive digitale Vernetzung der Oppositionsbewegung sogar zum Bumerang geworden: Längst nutzt das Regime seine Erkenntnisse über die Netzwerke, um tatsächliche oder potenzielle Herde der Dissidenz umso effektiver aufspüren zu können.

Zwar darf man davon ausgehen, dass die Ziele und Aktionen der Opposition nach wie vor die Sympathie breiter Schichten der iranischen Bevölkerung genießen. Doch Massendemonstrationen sind angesichts der brutalen Repression nicht mehr möglich. Bemühungen, das Regime zu spalten und einen Teil der konservativen Machtelite gegen die herrschende Gruppe um Chamenei und Ahmadinedschad aufzubringen oder ihn gar aktiv auf die Seite der Opposition zu ziehen, haben bisher wenig gefruchtet. Zudem ist es eine von Zweckoptimismus bestimmte Illusion, zu glauben, das Regime verfüge, ähnlich wie einst das Schah-Regime, über keinerlei nennenswerten Rückhalt in der Bevölkerung mehr.

Skeptisch gegenüber verschärften Sanktionen

In dieser Situation zeigen sich viele, zumeist links orientierte Exiliraner dennoch weiterhin skeptisch gegenüber den vom Westen geplanten deutlich verschärften Sanktionen gegen den Iran wegen seines Atomprogramms. Sie argumentieren, äußerer ökonomischer Druck aus dem Westen werde große Teile der Bevölkerung in den Schulterschluss mit dem Regime treiben und damit die Aussichten auf einen baldigen Sturz des Regimes von innen wesentlich verringern. Außerdem lenke die Fixierung des Westens auf die Atomfrage von dem Wichtigsten ab: von der Verteidigung der Menschenrechte im Iran.

Dass der Westen sich so sehr auf den Atomkonflikt konzentriere und die Menschenrechtsfrage vernachlässige, zeige, dass er gar nicht das Wohl der iranischen Bevölkerung im Auge habe, sondern in Wahrheit nur seine eigenen ökonomischen und geopolitischen Interessen verfolge. Sofern es aber Sanktionen geben sollte, dürften diese sich nicht auf Teherans nukleare Pläne, sondern auf dessen Missachtung internationaler Menschenrechtsstandards beziehen. In diese Argumentation mischen sich zuweilen alte Affekte gegen die USA und Israel.

So sagte eine kürzlich in den Westen entkommene iranische Frauen- und Menschenrechtsaktivistin, indem sich die Obama-Regierung derartig auf die Atomfrage fixiere, stelle sie die mögliche Bedrohung des Lebens von Israelis über das akut bedrohte Leben vieler Iraner, die jetzt verfolgt werden.

Unterhalb der Schwelle von UN-Sanktionen deutliche Zeichen setzten

Wahr ist daran dies: Das Engagement des Westens für politisch Verfolgte und Grundrechte im Iran ist beschämend gering. Dabei ließen sich auch unterhalb der Schwelle von UN-Sanktionen deutliche Zeichen dafür setzen, dass die westlichen Demokratien die Unterdrückung der Opposition mittels Verschleppung, Folter, Schauprozessen und Hinrichtungen nicht mehr hinzunehmen bereit sind.

Zahlreiche den Schergen des Teheraner Regimes entkommene Aktivisten der Protestbewegung sitzen unter oft verzweifelten Bedingungen zumeist in der Türkei fest, ohne dass der Westen sich ihrer an-, geschweige denn sie bei sich aufnimmt. Bei allen diplomatischen wie auch zivilgesellschaftlichen Kontakten müssten Vertreter der iranischen Regierung eindringlich und öffentlich mit ihren Untaten konfrontiert werden. Und es ist beschämend zu sehen, dass es im Westen keine massenhafte Protestbewegung gegen die Zustände im Iran gibt. Bei einschlägigen Kundgebungen und Demonstrationen bleiben die exiliranischen Gruppen meist unter sich.

Irreführend ist indes die Behauptung von Teilen der inneriranischen und exiliranischen Opposition, schärfere Sanktionen gegen den Iran schadeten nicht dem Regime, sondern der Opposition. Sie trifft freilich nur unter einer Bedingung nicht zu. Das Regime ist nur dann empfindlich zu treffen, wenn sich die geplanten Sanktionen zielgenau gegen die Machtzentren der Islamischen Republik richten.

Das heißt vor allem: gegen die Pasdaran, die Revolutionswächter, die sich zu einem militärisch-industriellen Komplex und einer Art Staat im Staate entwickelt haben. Sie kontrollieren nicht nur die Atomindustrie, sondern auch bedeutende Sektoren der iranischen Wirtschaft insgesamt. Gezielte Sanktionsmaßnahmen gegen die Pasdaran wie das Einfrieren von Auslandskonten, die Unterbrechung von internationalen Geldkreisläufen und Einreiseverbote gegen ihre Anführer und Komplizen würden zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Getroffen würde damit der Apparat, der nicht nur die nukleare Aufrüstung des Iran vorantreibt, sondern auch die Hauptverantwortung für die Verfolgung der Regimegegner trägt. Auch wenn die Sanktionen im Atomstreit offiziell nicht mit Menschenrechtsfragen verknüpft würden, zielten sie doch direkt auf die Einpeitscher und Exekutoren der gegenwärtigen Unterdrückung im Iran.

Ökonomischen Machtkomplexes der Pasdaran schwächen

Die ökonomische Schwächung des Pasdaran-Imperiums mittels gezielter Sanktionen hätte aber noch einen zusätzlichen Nebeneffekt: Sie könnten nämlich den Basaris, der traditionell einflussreichen Schicht der Einzelhändler, ebenso zugutekommen wie der freien iranischen Wirtschaft insgesamt, die unter der Übermacht des militärisch-ökonomischen Machtkomplexes der Pasdaran leiden und durch ihn wirtschaftlich benachteiligt und an den Rand gedrängt werden. Es wäre vielleicht vermessen anzunehmen, gezielte Maßnahmen gegen die Pasdaran könnten die Basaris und freien Unternehmer für den Westen einnehmen. Der iranischen Opposition müssten die genannten Effekte jedoch durchaus in die Hände spielen. Zeigt sich die herrschende Machtclique ökonomisch verwundbar, könnte das die in großen Teilen regimekritischen, aber bisher noch passiv abwartenden Händler und mittelständischen Unternehmer ermutigen, sich offen entgegenzustellen. Erst aber eine offene Rebellion dieser Schichten würde dem Regime wirklich gefährlich werden.

Doch selbst wenn Sanktionen kurzfristig zu Nachteilen für die Oppositionsbewegung führen sollten – der Westen darf darauf in letzter Instanz keine Rücksicht nehmen. Eine atomare Bewaffnung des Iran wäre eben nicht nur eine unmittelbare Gefahr für Israel, sondern eine akute Bedrohung für das gesamte Machtgleichgewicht in der Region. Dass die iranische Opposition in absehbarer Zeit einen Regimewechsel im Inneren herbeiführen kann, ist äußerst unwahrscheinlich.

Und selbst wenn die herrschende Clique um Ayatollah Chamenei und Präsident Ahmadinedschad stürzen würde und eine gemäßigtere Regierung an die Macht käme, wäre noch nicht einmal ausgemacht, dass diese in der Nuklearfrage eine grundlegend andere Haltung einnehmen würde als das jetzige Regime. Ist die Nuklearisierung des Iran doch nicht nur ein islamistisches, sondern auch ein nationalistisches Projekt.

Der Westen kann also einfach nicht so lange warten, bis sich die Träume iranischer Oppositioneller von einem säkularen, demokratischen und international kooperationsbereiten Iran erfüllt haben. Zumal sich auch innerhalb der Protestbewegung keineswegs alle Kräfte mit diesem Ziel identifizieren, sondern ein Teil der Bewegung eher eine Erneuerung der Islamischen Republik auf Grundlage eines „reformierten“ Islam im Sinne hat.

Westen müsste Strafmaßnahmen auch einseitig durchführen

Die Frist aber, bis der Iran die Fähigkeit zur Herstellung einer Atombombe erreichen und die gesamte Region damit in eine gefährliche Krise stürzen kann, ist vermutlich nur noch sehr kurz – wenn sie nicht sogar schon abgelaufen ist. Es ist daher richtig, dass US-Präsident Barack Obama und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy jetzt öffentlich auf den UN-Sicherheitsrat Druck ausgeübt haben, schärfere Sanktionen schon in den nächsten Wochen zu beschließen. Der Westen müsste freilich entschlossen sein, diese verschärften Strafmaßnahmen auch einseitig durchzuführen, sollte China bei seinem Veto dagegen bleiben.

Kein gutes Signal ist es in dieser Hinsicht, dass beim Außenminister-Treffen der G8 in Ottawa das iranische Atomprogramm zwar deutlich verurteilt wurde, konkrete Sanktionsabsichten aber unerwähnt blieben. Es wäre falsch, aus Rücksicht auf Peking, aber auch auf das nur halbherzig mitziehende Russland die geplanten Sanktionen bis zur Unkenntlichkeit zu verwässern. Leider haben Deutschland und Großbritannien aus dieser Erwägung offenbar bereits entschärfend auf die USA eingewirkt, die zu noch weiter gehenden Maßnahmen als den jetzt geplanten entschlossen waren. So kommen auf der Sanktionsliste die Sperrung internationaler Gewässer für staatliche iranische Reedereien und des internationalen Luftraums für Iran Air nicht mehr vor.

Grundsätzlich gilt es für den Westen jetzt aber, in der Konfrontation mit dem iranischen Regime endlich unzweideutige Entschlossenheit zu zeigen. Dabei müssen aber politisch-wirtschaftliche Maßnahmen gegen die iranische Nuklearrüstung mit einem wesentlich größeren Engagement der westlichen Demokratien für die Menschenrechte der Iraner verbunden werden. Nur in dieser Kombination kann der iranischen Gesellschaft glaubhaft deutlich gemacht werden, dass sie in ihrem verzweifelten Kampf für mehr Freiheit und für Menschenwürde nicht allein ist.

Spiegel Online

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