Montag, 26. April 2010

Die künftige Sozialministerin NDS Özkan ist gegen Kopftuch und Kruzufix

Frau Özkan setzt sich für Säkularisierung ein, was ich nur unterstützen kann. Keine Kruzifixe an staatlichen Schulen und vor allem keine Kopftücher. Ironischerweise ist sie aber in der CDU, in der das C immer noch für Christlich steht.

Ein Stich ins Wespennest

Von Astrid Wirtz, 26.04.10, 22:51h, aktualisiert 26.04.10, 22:52h
Aygül Özkan, die am Dienstag als erste muslimische Ministerin in der Bundesrepublik vereidigt wird, verheddert sich in der Kruzifix-Debatte. Ihr Chef Christian Wulff ist bemüht, die Scherben zusammen zu kehren.


Aygül Özkan ist eigentlich eine mutige Frau, die die klare Ansage liebt. Dass es politisch nicht klug war, noch vor ihrer Vereidigung als erste muslimische Ministerin in Deutschland in ein gesellschaftspolitisches Wespennest zu stechen, ist eine andere Frage. Kreuze und muslimische Kopftücher sollten an öffentlichen Schulen verboten sein, hat Özkan gesagt und damit religiöse Waffengleichheit verlangt. Und dass als Politikerin, die - überzeugt von deren Werten - einer christlichen Partei beitrat und für diese nun als Ministerin in Niedersachsen Sozial- und Integrationspolitik machen will. Am Montag wurde der Druck zu groß, die türkisch-stämmige Juristin entschuldigte sich.

Denn Teile der CDU stehen Kopf. Für sie sind christliche Symbole tabu. Ministerpräsident Wulff kehrte eiligst die Scherben zusammen. Und auch weiten Teilen der NRW-CDU fuhr so kurz vor den Landtagswahlen der Schreck in die Glieder. Integration von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ist mit Antritt des engagierten Ministers Armin Laschet ein Vorzeigethema. Viel hat er für einen Bewusstseinswandel, für das Anerkenntnis der Tatsache getan, dass die Muslime Teil unseres Landes sind und ihre Integration unumgänglich für das Wohl aller ist. Noch bleibt aber viel zu tun: Die Mehrheitsbevölkerung begegnet den Muslimen noch längst nicht auf Augenhöhe. Aber auch der hartleibige Teil der muslimischen Minderheit darf keine religiösen Sonderrechte reklamieren. Wer die Gleichbehandlung will, muss bereit sein, dafür Zugeständnisse zu machen.

Doch solch hehre Ziele, die auf Parteiversammlungen leichthin auf Zustimmung stoßen, lösen nicht selten Unmut aus, wenn sie vor der eigenen Haustür verwirklicht werden sollen. Der Streit ums Kruzifix wie der ums muslimische Kopftuch bei Lehrerinnen ist deshalb exemplarisch. So ließ Laschet zwar verkünden, die Kruzifixe in Nordrhein-Westfalen blieben hängen. Was er nicht sagt: Sollten Eltern widersprechen, müssen sie abgehängt werden. Gleichzeitig gibt es in der Hälfte der Bundesländer wie auch in NRW mit Hinweis auf die Neutralitätspflicht Kopftuchverbote an staatlichen Schulen. Konsequent ist das nicht.

Aygül Özkan hat den Spagat versucht: Als Muslima, die selber kein Kopftuch trägt, ist sie nur dann glaubwürdig, wenn sie uneingeschränkt für religiöse Gleichbehandlung eintritt. Doch der Versuch muss als gescheitert gelten.

Kölner Stadtanzeiger

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Neue Ministerin Özkan
"Türken, bringt euch mehr ein!"

Die Hamburger CDU-Politikerin Aygül Özkan wechselt ins niedersächsische Kabinett und wird die erste türkischstämmige Ministerin Deutschlands. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE spricht die 38-Jährige Muslimin über selbstbewusste Frauen in der Union, Türken in Deutschland und das Kopftuch.


SPIEGEL ONLINE: Frau Özkan, am Montag dieser Woche wurde bekannt, dass Ministerpräsident Christian Wulff Sie als neue Sozialministerin nach Niedersachsen holt - bis dahin waren Sie bundesweit kaum bekannt. Wie hat sich Ihr Leben in den vergangenen Tagen geändert?

Özkan: Ich musste mein Telefon irgendwann abschalten, weil so viele Leute anriefen. Ich habe wahnsinnig viel Zustimmung bekommen, das gibt mir sehr viel Energie, die ich auch brauche, um diesen Terminmarathon durchzustehen. Ich werde aber erst in ein paar Tagen alles wirklich realisieren. Im Moment funktioniere ich nur.

SPIEGEL ONLINE: Sie werden Anfang nächster Woche im Landtag in Hannover vereidigt und dann die erste türkischstämmige Ministerin Deutschlands sein. Die Deutschland-Ausgabe der Hürriyet titelte "Unsere Ministerin" - hat Sie der Trubel überrascht?

Özkan: Es war mir klar, dass es viele positive Reaktionen geben würde. Worüber ich mich besonders freue: Das begeisterte Echo über die Parteigrenzen hinweg. Genau das brauchen wir in der Integrationspolitik. Es muss Schluss sein mit ideologischem Denken, damit schneller etwas passiert.

SPIEGEL ONLINE: Gab es auch negative Reaktionen in der eigenen Partei?

Özkan: Bislang nicht - und damit rechne ich auch nicht.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind Muslimin und seit 2004 in der Christlich Demokratischen Union. Wie passt das zusammen?

Özkan: Gut. Die CDU setzt ja nicht voraus, dass man als Mitglied Christ sein muss. Sondern sie steht für Werte wie Familie und Zusammenhalt. Sie steht für Werte, die ich selbst lebe, mein Lebensbild stimmt mit dem der Union überein. Ich bin wertebewusst und weltoffen. Das finde ich in der CDU.

SPIEGEL ONLINE: Die Union hat das Zuwanderungsgesetz verschärft, Hessens Ministerpräsident Roland Koch machte Wahlkampf gegen kriminelle Einwanderer, lange hat die CDU sich für Migranten nicht besonders interessiert. Die meisten Deutschtürken wählen SPD und Grüne. Sind Sie nicht in der falschen Partei?

Özkan: Die CDU hat in den letzten Jahren eine rasante Aufholjagd hingelegt. Mit dem Islamgipfel und der Integrationskonferenz in der ersten Regierungszeit Angela Merkels wurde zum ersten Mal überhaupt systematische Integrationspolitik gemacht. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass uns das endlich auch in der Öffentlichkeit auf die Fahnen geschrieben wird.

SPIEGEL ONLINE: Sie wollen sich dafür einsetzen, dass Kinder mit Migrationshintergrund früh in eine Kita gehen, um dort besser gefördert zu werden - ihre eigene Partei streitet über das Betreuungsgeld. Rechnen Sie mit Widerstand gegen ihre Pläne?

Özkan: Es geht hier um Pragmatismus und um die Zukunft von Millionen Kindern: Wir müssen die Kita bei Eltern mit Migrationshintergrund attraktiv machen, auch für unter Dreijährige. Dazu müssen auch klassische Rollenbilder und Überzeugungen aufgebrochen werden, etwa, dass es am besten ist, wenn Mütter ihre Kinder bis zum Schuleintritt zu Hause erziehen. Es ist von unschätzbarer Wichtigkeit, dass Migrantenkinder schon als Kleinkinder gut Deutsch lernen, damit sie später erfolgreich sein können. Der einzige Ort, an dem das möglich ist, ist oft die Kita. Es gibt keine Alternative dazu, dass diese Kinder früh gefördert werden.

SPIEGEL ONLINE: Schotten Türken in Deutschland sich stärker ab als andere Gruppen?

Özkan: In Deutschland haben Türken es besonders leicht, unter sich zu bleiben, weil sie so viele sind. Ich fordere deshalb: "Zeigt Interesse an der deutschen Gesellschaft und bringt euch mehr ein!"

SPIEGEL ONLINE: Ist das Kopftuch ein Integrationshemmnis?

Özkan: Nicht per se. In einem Punkt habe ich eine ganz klare Haltung: Kinder haben in der Schule das Recht auf ein neutrales Umfeld, deshalb sollten Lehrerinnen kein Kopftuch tragen.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie Sorgen, die Union könnte Sie als "Quotenmigrantin" benutzen, um sich selbst als moderne Partei zu profilieren?

Özkan: Das ist eine sehr deutsche Frage: Jede Partei profitiert doch von Sympathie und Resonanz, und das ist etwas Gutes - ich freue mich, wenn ich als erste deutsche Ministerin mit türkischen Wurzeln Menschen begeistern kann. Ausgenutzt würde ich mich nur fühlen, wenn ich meine politischen Forderungen nicht auch wirklich leben würde.

SPIEGEL ONLINE: Es heißt, die Kanzlerin habe sich bei Niedersachsens Ministerpräsident Wulff für Sie eingesetzt. Kennen Sie Merkel persönlich?

Özkan: Ich habe Frau Merkel kennengelernt, aber ob sie sich tatsächlich für mich eingesetzt hat, weiß ich nicht. Bislang ist es nur ein Gerücht. Einen Anruf habe ich auch noch nicht von ihr bekommen - aber ich bin ja auch noch nicht vereidigt. Vielleicht hat Merkel es ja versucht und ist wie so viele andere in den letzten Tagen nicht durchgekommen.

SPIEGEL ONLINE: Die "Zeit" schreibt, Sie würden die Union und die türkische Community mit Ihrem Selbstbewusstsein wohl überfordern. Ist die deutsche Gesellschaft schon bereit für Sie?

Özkan: Ich hoffe es. Ich weiß, dass ich es nicht allen recht machen kann, aber ich bin über jeden froh, den ich ermutigen kann, sich zu engagieren, und den ich davon überzeugen kann, dass sich Leistung lohnt und dass wir in einer Anerkennungskultur leben. Wenn eine Frau selbstbewusst ist, ohne dabei verbohrt zu sein, hat man es - so ist zumindest meine Erfahrung - weder in der Union noch in der türkischen Community schwer. Vorurteile gegen Frauen sind eher eine Frage der Bildung als der Kultur oder der politischen Partei.

Das Interview führte Anna Reimann

Spiegel Online

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