Donnerstag, 22. April 2010

Guttenbergs Kunduz-Ausschuss

Guttenberg hat seinen Kopf aus der Schlinge gezogen.


Kunduz-Ausschuss
Guttenberg kämpft um seine Wahrheit

Von Matthias Gebauer



Verteidigungsminister Guttenberg: "Möglichkeit eines Riesenfehlers"

Er war gut vorbereitet - und punktete mit dem Eingeständnis eigener Fehler: Verteidigungsminister Guttenberg hat vor dem Bundestagsausschuss sein Handeln in der Kunduz-Affäre gerechtfertigt. Die Opposition rügte Widersprüche in seinen Aussagen, doch die Rücktrittsforderungen klingen schon leiser.

Berlin - Es war eine mehrstündige, teilweise auch turbulente Vernehmung: Vor dem Untersuchungsausschuss zur Kunduz-Affäre hat Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zwar Fehler eingestanden - aber die Grundzüge seines Handelns vehement gerechtfertigt. In einer anderthalbstündigen Erklärung machte der CSU-Minister deutlich, dass die Entlassung zweier Top-Beamten gut begründet gewesen sei.

Allerdings gestand Guttenberg erneut ein, dass seine erste Bewertung des Bombardements falsch war. Für diese Fehleinschätzung übernahm er persönlich und politisch die Verantwortung. Guttenberg hatte den Angriff auf zwei von den Taliban entführte Tanklaster und vermutete Kämpfer um die beiden Fahrzeuge herum zunächst Anfang November 2009 als "militärisch angemessen" bezeichnet, rund einen Monat später behauptete er das Gegenteil.

In seiner Bewertung ging Guttenberg in der Vernehmung wesentlich weiter als bisher. "So unmittelbar war die Bedrohungslage nicht, um bewusst oder gezielt zivile Opfer in Kauf zu nehmen", sagte der CSU-Politiker. Aus heutiger Sicht, argumentierte er, hätte auch Oberst Georg Klein das Bombardement nicht angeordnet. Im November hatte er bei seinen ersten Äußerungen den Eindruck erweckt, der Angriff sei trotz mehrerer Verfahrensfehler zwangsläufig gewesen.

"Lasse mir nicht diktieren, wann mein Vertrauen erschöpft ist"

Im Kern ging es in dem Untersuchungsausschuss um zwei Themen. Zum einen kritisiert die Opposition den Minister scharf, da sein Meinungswechsel bei den Aussagen zum Bombardement nicht nachvollziehbar oder gar willkürlich sei. Außerdem haben SPD, Grüne und Linke den Verdacht, dass Guttenberg über die Kündigungen des Generalinspekteurs Wolfgang Schneiderhan und des damaligen Staatssekretärs Peter Wichert bisher nicht die Wahrheit gesagt hat.

Guttenberg erschien am Donnerstag gut vorbereitet. Auf rund 60 Seiten hatte er gemeinsam mit seinen Juristen und Beratern ein Statement vorbereitet, dass alle Kernpunkte der Kritik behandelte. In drei Abschnitten äußerte sich der Minister detailliert über die relevanten Gespräche, Berichte und Vorgänge. Guttenberg war erst Ende Oktober ins Amt gekommen, der Angriff selber fand in der Verantwortung seines Vorgängers Franz-Josef Jung (CDU) statt.

Die Kritik an der Entlassung von Schneiderhan und Wichert wies der Minister entschieden zurück. Er lasse sich nicht diktieren, wann sein Vertrauen in enge Berater erschöpft sein darf. Guttenberg hatte die beiden geschasst, weil er am 25. November erst aus der Presse von einem nationalen Untersuchungsbericht zu dem Kunduz-Bombardement erfahren hatte. Das als Feldjäger-Bericht bekannte Dossier fasst die viertägigen Recherchen eines deutschen Offiziers zusammen.

Misstrauen und immer neue Details

In seinem Statement verteidigte Guttenberg seine Haltung. Entscheidend sei nicht der Inhalt der Berichte, "sondern die Erkenntnis, dass mir zentrale Dokumente und Berichte zu dem Luftschlag, die bereits zum Zeitpunkt meines Amtsantritts und vor meinen ersten öffentlichen Erklärungen bei führenden Stellen meines Ministeriums vorlagen, mir gegenüber weder erwähnt noch vorgelegt worden waren", sagte er. Diese Erkenntnis habe eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unmöglich gemacht.

"Ich verstehe es nicht und akzeptiere es nicht, dass mir dieser Bericht nicht vorgelegt wurde und ich nicht informiert worden bin", sagte Guttenberg mit fester Stimme. Detailliert beschrieb er die Momente, als er den Bericht das erste Mal durchlas. Schon bei oberflächlicher Lektüre sei ihm aufgefallen, dass das Dossier im Haus offenbar absichtlich unter der Decke gehalten werden sollte. Folglich sei er umgehend misstrauisch geworden.

Im Zusammenhang mit der Kündigung sah der Minister auch seine Neubewertung des ganzen Vorfalls. Erst nachdem er von dem Feldjägerbericht erfahren habe, seien ihm immer neue Details bekannt geworden. Daraufhin habe er den Vorgang neu bewertet. Unter anderem habe er von zwei seiner ranghöchsten Soldaten erfahren, dass sie den Vorfall bei Kunduz wesentlich kritischer sahen, als Wichert und Schneiderhan das zuvor bei der Einweisung des Ministers getan hatten.

Gegenüberstellung der Akteure

Konkret erwähnte Guttenberg mehrere Gespräche, die er in den Tagen nach der Kündigung mit diversen Spitzenmilitärs geführt hatte. Er verwies auf einen Bericht des Regionalkommandeurs Jörg Vollmer und einen Vermerk des Befehlshabers im Einsatzführungskommando. General Rainer Glatz habe ihn darauf hingewiesen, "dass auch ein Verzicht auf den Luftschlag vertretbar gewesen wäre", sagte Guttenberg. Zudem habe er von der "Möglichkeit eines Riesenfehlers" gesprochen.

In seiner Vernehmung beschrieb Guttenberg die Vorkommnisse im Spätherbst 2009 in entscheidenden Teilen anders als zuvor die beiden Ex-Beamten Wichert und Schneiderhan. So sagte Guttenberg aus, bei dem Kündigungsgespräch mit den beiden sei auch sein damaliger Adjutant zugegen gewesen. Die Opposition will dies zum Anlass nehmen, die Akteure in naher Zukunft mit einer förmlichen Gegenüberstellung vorzuladen.

In seinem Vortrag betonte Guttenberg, dass sich seine Aussagen über den Luftschlag nicht gegen die Soldaten, auch nicht gegen den damals kommandierenden Oberst Georg Klein richteten. "Im Rückblick stellen wir fest: Es wäre richtig gewesen, wenn der Luftangriff von Kunduz unterblieben wäre", sagte der Politiker. Gleichwohl dürfe er als Minister, aber auch die Regierung und das Parlament "Oberst Klein nicht mit der gesamten Verantwortung für seine Entscheidung allein lassen".

Opposition wittert Widersprüche

Nach sechs Stunden öffentlicher Vernehmung zog sich der Ausschuss zu einer geschlossenen Sitzung zurück, da viele Dokumente zum Vorgang als geheim klassifiziert sind. Die Opposition äußerte anschließend Kritik an Guttenbergs Ausführungen. SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold erklärte, der Minister habe nicht substanziell erklären können, welche Informationen er von seinen Spitzenleuten vermisst habe. Die Entlassung von Schneiderhan und Wichert nannte er "stillos" und "würdelos". Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour sagte, es sei gut, dass der Minister eigene Fehler zugegeben habe. Es blieben aber Widersprüche.

Tatsächlich könnten die unterschiedlichen Aussagen ernste Konsequenzen haben. Falsche Darstellungen vor dem Ausschuss sind strafbar. Im Verteidigungsministerium heißt es aber, Guttenbergs Version werde durch seine Büroleiterin und den Adjutanten bestätigt. Wirklich wirksam war die Kritik der Opposition denn auch nicht. Die notorischen Rücktrittsforderungen der Abgeordneten klangen am Abend sehr viel schwächer als zum Auftakt der Sitzung.

Guttenberg wird nun zwar mit dem Makel leben müssen, in der Startphase seines Amtes wohl übereilt eine Einschätzung abgegeben zu haben, die er nicht halten konnte. Dass er das so offen zugibt, ist jedoch wieder mal ein überraschender Schwenk des jungen Ministers. Wenn ihm die Offenheit in der Öffentlichkeit eher positiv als negativ ausgelegt wird, war es ein geschickter Schachzug.

Spiegel Online


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Luftschlag von Kundus bleibt Guttenbergs Erblast

Von Thorsten Jungholt 22. April 2010, 21:07 Uhr

In den sechs Monaten seiner Amtszeit ist der Verteidigungsminister im Zeitraffer gereift. Seine vorschnelle Einschätzung zum Luftschlag von Kundus verfolgt ihn dennoch. Vor dem Untersuchungsausschuss verteidigte er die Entlassung seiner Mitarbeiter Schneiderhan und Wichert. Doch die SPD gibt sich damit nicht zufrieden.



Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg

Entscheidungen treffen heißt Folgen verantworten. Karl-Theodor zu Guttenberg, ein Unteroffizier der Reserve, mag diesen simplen militärischen Lehrsatz gekannt haben, als er am 28. Oktober 2009 das Amt des Bundesverteidigungsministers übernahm. Die Tragweite der Entscheidungen allerdings, die ihm als oberster Dienstherr aller deutschen Soldaten abverlangt werden, dürfte dem 38-jährigen Senkrechtstarter der deutschen Politik damals kaum bewusst gewesen sein.

Auf seinem neuen Posten war der CSU-Politiker ein talentierter Anfänger, vom Willen beseelt, die Aufgabe im Sinne der ihm anvertrauten Soldaten besser auszufüllen als sein ungelenker Vorgänger Franz Josef Jung (CDU). Klartext wollte Guttenberg reden, die Dinge beim Namen nennen. Am 6. November, nur eine Woche nach der Amtsübernahme, preschte er deshalb vor und nahm sich der schwerwiegendsten militärischen Operation in der Geschichte der Bundeswehr sowie größten Erblast aus der Ära Jung an, dem Luftschlag von Kundus am 4. September 2009. In einer Stellungnahme wertete er den von dem deutschen Oberst Georg Klein angeordneten Angriff forsch als „militärisch angemessen“.

Ein halbes Jahr später ist aus dem Anfänger ein im Zeitraffer gereifter Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt geworden. Guttenberg hat Soldaten zu Grabe getragen, am Krankenbett von Verwundeten gesessen und sich bei drei Besuchen in Afghanistan ein eigenes Bild von der Realität des Einsatzes am Hindukusch bilden können. Er hat gelernt, dass es in bewaffneten Konflikten keine einfachen Wahrheiten gibt, kein simples Richtig oder Falsch. Genau so aber hatte er den Luftschlag am 6. November öffentlich dargestellt: als militärisch richtige Entscheidung, die bei allen Fehlern im Detail „hätte erfolgen müssen“.

Vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags, der sich mit der Aufklärung der Kundus-Affäre befasst, wurde er am Donnerstag mit dieser vorschnellen Einschätzung konfrontiert. Die Parlamentarier wollten von ihm wissen, wie er damals zu der Bewertung gelangen konnte, warum er sie einige Wochen später revidierte und weshalb er im Zuge dieser Neubewertung zwei seiner wichtigsten Mitarbeiter entließ, den Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und den Staatssekretär Peter Wichert.

In einer über einstündigen Erklärung versuchte Guttenberg, diese Fragen zu beantworten. Nach seiner Lesart hatte er in den ersten Wochen seiner Amtszeit vor allem einen Kardinalfehler begangen: Der Minister verließ sich auf die Einschätzungen Schneiderhans und Wicherts. Als „Nichtfachmann“ sei er auf deren Ratschläge angewiesen gewesen, und es habe auch keinen Anlass gegeben, an der Expertise des Generals und des Staatssekretärs zu zweifeln. Nach den ihm am 6. November „vorliegenden Auswertungen und fachlichen Beratungen“ habe er sich deren Bewertung der militärischen Angemessenheit des Luftschlags deshalb zu eigen gemacht.

Erst am 25. November habe er durch die „Bild“-Zeitung erfahren, dass ihm Schneiderhan und Wichert nicht alles offenbart hatten. Es gab weitere Dokumente, von denen er keine Kenntnis hatte, unter anderem einen Feldjägerbericht, der Oberst Kleins Vorgehen anders als Guttenbergs Ratgeber kritisch bewertete. Auch in der Generalität hätten schon früh andere Einschätzungen vorgelegen, sagte Guttenberg, die ihm vorenthalten worden seien.

Der Minister bestellte Schneiderhan und Wichert in sein Büro. Die hätten dort erst auf dreimalige Nachfrage die Existenz weiterer Berichte zum Luftschlag eingeräumt – was Guttenberg zu zwei Schritten veranlasste. Erstens sah er das Vertrauen in seine Ratgeber erschüttert und legte ihnen den Rücktritt nahe. Der Minister betonte, entscheidend für die Entlassung sei nicht der Inhalt der zurückgehaltenen Dokumente gewesen, sondern allein der Fakt, dass seine wichtigsten Mitarbeiter ihrer „Bringschuld“ nicht nachgekommen seien, ihn umfassend zu informieren.

Zweitens nahm er eine Neubewertung des Luftschlags vor. Schneiderhan und Wichert hätten ihm lediglich die Sichtweise Oberst Kleins dargelegt. Aus dessen „rein militärisch-operativer Bewertung im Zeitpunkt des Handelns“ sei der Luftschlag notwendig und angemessen gewesen. Das gelte bis heute.

In einer nachträglichen „politischen Gesamtbeurteilung“ unter Einbeziehung aller verfügbaren Informationen aber hätte der Angriff nicht erfolgen müssen, „ja nicht erfolgen dürfen“, sagte Guttenberg. Er stehe zu seiner Fehlbewertung, und er habe sie öffentlich korrigiert. „Ich frage Sie“, sagte er an die Adresse der Abgeordneten, „erwarten wir von guter Politik nicht alle sogar, dass sie sich bisweilen korrigiert?“

Die Vertreter der Regierungsfraktionen stimmten dem Minister zu und sprachen von einem „überzeugenden Auftritt“ Guttenbergs. SPD, Grüne und Linke dagegen sahen weiterhin offene Fragen. Guttenberg habe „an keinem einzigen Punkt substanziell erklärt“, welche Informationen ihm zunächst gefehlt hätten, sagte der SPD-Obmann Rainer Arnold.

Auch der genaue Verlauf des Entlassungsgesprächs sei von beiden Parteien widersprüchlich geschildert worden. Die SPD überlege deshalb, eine Gegenüberstellung von Guttenberg sowie Schneiderhan und Wichert zu beantragen.

Welt Online

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