Dienstag, 6. April 2010

Integration – Eine zweite deutsche Einheit muss her

In Sachen Integration muss Einiges getan werden. Aufgeholt werden, was Jahrzehnte lang versäumt wurde. Und es müssen jetzt die gesetzlichen Grundlagen für eine forcierte Säkularisierung unserer Gesellschaft geschaffen werden, bevor es in Deutschland mehr Muslime als Christen gibt.

Integration – Eine zweite deutsche Einheit muss her

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Die Integration der Immigranten ist so wichtig wie nie zuvor. Claus Christian Malzahn fordert eine zweite deutsche Einheit. Er glaubt, dass eine bessere Bildung von Einwanderern und ein klares Bekenntnis zur Landessprache über die Zukunft der Republik entscheiden.




Die Deutschen schauen oft und gern zurück.. Hierzulande sind etwa 3000 wissenschaftliche Institutionen damit befasst, die Vergangenheit aufzuklären. Nur etwa ein halbes Dutzend beschäftigt sich mit wissenschaftlicher Zukunftsforschung, dazu kommen ein paar Stiftungen, die Trends nachjagen.

Wer den Fernseher einschaltet, wird massenhaft mit bewegten Bildern über den zweiten Weltkrieg (seit kurzem auch in Farbe), die Reformation (Luther im Spielfilmformat) oder die Varusschlacht (Arminius als erster Deutscher) bedient.

Über das, was unmittelbar vor uns liegen könnte, gibt es natürlich keine Bilder. Das alleine erklärt aber die bis in die Politik reichende Funkstille nicht, wenn es um Zukunftsfragen geht. Vielleicht haben wir einfach Angst davor, uns dem zu stellen, was offensichtlich an Problemen und Entwicklungen auf uns zu kommt. Auch deshalb wird die Republik wohl alle Jahre wieder von der Geschichte kalt erwischt: Durch die der 68er Revolte verschoben, zwei Dekaden später fiel die Mauer in Berlin – ein epochales Ereignis, mit dem die Ost-West-Experten am wenigsten gerechnet hatten. Und was kommt als Nächstes?

Der jüngste Disput zwischen dem türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdogan und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel zeigt, wo bald entscheidende Konfliktlinien verlaufen werden. Erdogan hatte am Rande von Merkels Staatsbesuches in der Türkei die Einrichtung türkischer Gymnasien in Deutschland gefordert. Merkel lehnte den Vorschlag deutlich ab. Einwanderer in Deutschland müssen in erster Linie Deutsch beherrschen. Denn es geht um die Integration der Einwanderer, nicht um den Ausbau von Parallelsystemen.

Erdogan mag innenpolitisch auf Reformkurs sein, wenn es um die im Ausland lebenden Türken geht, kennt er kein Pardon. „Assimilierung ist ein Verbrechen“ warnte der türkische Staatschef bei einem Auftritt in der Kölnarena vor zwei Jahren „seine“ Landsleute – ob die türkischsprachigen Zuhörer einen deutschen Pass besaßen, war ihm herzlich egal. Der Streit aus der vergangenen Woche ist deshalb symptomatisch. Er dreht sich nicht um diplomatische Missverständnisse, sondern um entscheidende Fragen: Zu wem gehören die Einwanderer in Deutschland? Wo liegen ihre politischen Loyalitäten? Wie provoziert man ihren Einstiegs- und Aufstiegswillen? Und nicht zuletzt: Wer gewinnt den Kampf um ihre Herzen?

Welche Konsequenzen aus dieser Diskussion gezogen werden, entscheidet nicht nur über die nächsten 20 Jahre, sondern über die Zukunft dieser Republik. Deutschland bildet inzwischen das wichtigste Einwanderungsland unter allen Industrieländern. Seit Jahrzehnten kommen mehr Zuwanderer ins Land als Babys zur Welt. Der Anteil der ausländischen Bevölkerung betrug 1998 bereits 7,4 Millionen Menschen, neun Prozent der Gesamtbevölkerung. Er wird bis 2050 auf bis zu etwa 19 Millionen Menschen ansteigen, dann fast 28 Prozent. Gleichzeitig bringen türkische Einwanderer, die mit Abstand größte Migrantengruppe, eine besonders schlechte Schulbildung mit.

Das muss sich in urdeutschem Interesse so schnell wie möglich ändern. Es spricht nicht viel dafür, dass sich die niedrige Geburtenquote in Deutschland auf absehbare Zeit erhöhen wird. Den jüngsten Impuls für einen saisonalen Geburtenanstieg gab denn auch nicht etwa die deutsche Politik, sondern die Nationalelf im Sommermärchen 2006. Doch die Hochstimmung nach dem 4:2-Sieg gegen Argentinien wird unsere demographischen Probleme nicht lösen.

Wir brauchen Einwanderer

Deutschland altert rasant, im Osten und Norden droht deutlicher Bevölkerungsrückgang bei gleichzeitigem Facharbeitermangel. Wir sind deshalb längst auf Einwanderung angewiesen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Forderung nach einer besseren Schulbildung türkischstämmiger Kinder und die Bildung einer in Deutschland beheimateten Migranten-Elite sollte die hiesige Politik deshalb nicht dem türkischen Premier überlassen. Jahrzehnte sind bereits vergeudet worden. Die Konservativen haben die Probleme ignoriert, weil sie nicht wahr haben wollten, was faktisch längst geschehen war: Deutschland hatte sich in ein Einwanderungsland verwandelt. Die politische Linke idealisierte diese Entwicklung, wich den Integrationsproblemen aus – und verlor sich in Debatten über doppelte Staatsbürgerschaften, die keinem Einwanderer zu besseren Noten verholfen haben.

Die deutsche Sprache bildet die Geschäftsgrundlage der Integration. In mehreren Berliner Problembezirken wollen Grundschulen künftig Klassen mit „Deutsch-Garantie“ anbieten, um Kinder aus Migrantenfamilien stärker zu fördern und gleichzeitig einer Abwanderung vorzubeugen. Diese Experimente im Klassenzimmer sind aus der Not von Pädagogen und Eltern geboren, die feststellen müssen, dass sich der Graben zwischen Lehrplan und Schülern nicht mehr überbrücken lässt. An ihrem Gelingen hängt nicht nur die Frage, ob künftig neben den Stefans und Sarahs mehr Sahins und Sedas Abitur machen werden. Sie entscheidet auch darüber, ob die Bundesrepublik in Zukunft in ethnische Bruchstücke zerfällt. Oder ob nach dem Zusammenwachsen von Ost und West das gelingt, was man eine zweite Einheit zwischen Einwanderern und Angestammten nennen könnte.

Dazu braucht es bei allen Beteiligten aber jene Courage, die letztlich auch zum Fall der Mauer führte. Vor zwanzig Jahren entstand in der DDR ein Bürgermut, der den real existierenden Fatalismus in Frage stellte und dann auch friedlich überwand. Die Ostdeutschen sagten laut und deutlich, was sie wollten – und nahmen dabei weder Rücksicht auf die herrschende Klasse in der DDR noch auf westdeutsche Entspannungspolitiker.

Auch heute ist diese Wahrhaftigkeit wieder gefragt. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Aber wie es sich entwickelt, darf nicht von anarchischen Zeitläufen oder zufälligen Geburtsentwicklungen abhängen. Wir müssen klären, wie wir leben wollen – und wie nicht. Wir schließt die Migranten ausdrücklich mit ein. Was uns trennt und verbindet, muss auf Deutsch geklärt werden. Das allein garantiert angesichts kultureller, politischer und religöser Differenzen noch keine intakte Einwanderungsgesellschaft auf der Grundlage unserer freiheitlichen Verfassung. Aber es wäre ein Angebot und ein Anfang.

Welt

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