Freitag, 19. März 2010

Im Nahen Osten nichts Neues

Obama kommt mit seinem Kuschelkurs nicht wirklich voran. Amerikanische Konservative werden ihm Unfähigkeit und Schlimmeres vor (siehe Video unten, siehe auch hier) und der Nahe Osten kommt wie immer nicht zur Ruhe. Wo bleiben die richtigen Sanktionen gegen den Iran, wo die Unterstützung der Revolutionsbewegung? Und das nicht nur von amerikanischer, sondern auch von europäischer Seite? Lesenswert auch die beiden unteren Artikel.



Leitartikel: Die verheerende Bilanz der amerikanischen Nahost-Politik
Obama versteht die Israelis nicht

Man wird sich schnell darauf einigen können, dass Israels Entscheidung, 1600 Wohneinheiten in Ostjerusalem zu bauen, nicht nur schlecht getimt war, sondern auch in der Substanz wenig hilfreich.Die wütende, gegenüber Verbündeten geradezu unerhörte Reaktion aus Washington ist aber nicht nur weit übertrieben.Sie verrät auch, wie viel Frust sich in der Obama-Regierung angesammelt hat. Man möchte nur zu gerne Israel verantwortlich machen für die mangelnden Resultate der obamaschen Nahost-Politik.


Dabei sind viele Misserfolge das Ergebnis einer gefährlich naiven Politik Washingtons.

Um den Nahost-Friedensprozess wieder flottzumachen, hatte Obama allen Seiten etwas versprochen. In seiner Kairoer Rede hatte er sich für einen israelischen Siedlungsstopp eingesetzt. Die Palästinenser sollten an den Verhandlungstisch zurückkehren, und den Israelis stellte man Gesten des guten Willens und der Annäherung vonseiten arabischer Staaten in Aussicht. Unter erheblichem Druck hat Israel dann einem neunmonatigen Moratorium beim Siedlungsbau im Westjordanland zugestimmt. Das war nicht ganz so viel, wie Obama sich erhofft hatte, aber weit mehr, als jeder Regierungschef vor Benjamin Netanjahu zu geben bereit war. Bekommen haben die Israelis dafür kaum etwas. Die Palästinenser erklärten sich zu "indirekten" Gesprächen bereit, was lächerlich ist, wenn man bedenkt, wer hier eigentlich einen Staat haben will. Das ist nicht zuletzt die Schuld der US-Regierung. Sie hatte den Mund sehr voll genommen mit der Forderung nach einem kompletten Siedlungsstopp. Da konnte Abbas sich nicht nachgiebiger zeigen als die Amerikaner.

Aus der Annäherung der arabischen Staaten wurde gar nichts, sie haben nur ein altes Angebot erneuert. Warum sollten sie sich aus dem Fenster lehnen, wenn Obama ihnen die israelischen Konzessionen frei Haus liefert? Da ist es kein Wunder, wenn die Israelis das Gefühl haben, ihre Zugeständnisse zögen nur Forderungen nach immer neuen Zugeständnissen nach sich, ohne dass sie eine Gegenleistung bekommen.

Sicher: Israel hat dazu beigetragen, das Verhältnis zu belasten, und sollte die kontraproduktive Siedlungspolitik auch in Ostjerusalem beenden. Es ist aber bezeichnend, dass die Wortwahl der US-Regierung gegenüber den friedensfeindlichen Autokratien der Region weit freundlicher ist als gegenüber dem demokratischen Verbündeten. Weder beim Iran noch bei Syrien sind die Amerikaner jedoch vorangekommen. Die Position der Mullahs im Atomstreit hat sich verhärtet. Und auch die Entsendung eines US-Botschafters als Zeichen der Einbindungspolitik gegenüber Syrien wurde nicht honoriert. Stattdessen organisierte Hafis al-Assad in Damaskus ein öffentlichkeitswirksames Treffen mit Irans Mahmud Ahmadinedschad und dem Chef der libanesischen Terrororganisation Hisbollah, um zu zeigen, dass die Terror- und Ablehnungsfront weiter steht.

Das alles sind mehr als Anfängerfehler. Es hat sich gezeigt, dass die Grundannahmen obamascher Nahost-Politik nicht funktionieren. Vor allem hat der Präsident ignoriert, dass dort eine simple Schulhoflogik regiert. Das Abrücken der USA von seinem Bündnispartner führt nicht etwa zu Zugeständnissen von Israels Feinden. Im Gegenteil: Die wittern Morgenluft und sehen sich in ihrer Unbeugsamkeit bestätigt. Obama hat also einen treuen Verbündeten in die Ecke gedrängt, ohne damit etwas voranzubringen. Inzwischen ist gar der Eindruck entstanden, ein "regime change" in Jerusalem sei Obama wichtiger als einer in Teheran oder Damaskus.

Man könnte die Härte Obamas gegenüber Israel vielleicht verstehen, wenn er einen Plan hätte, wie es weitergehen soll. Tatsächlich handelt es sich aber um Politik im virtuellen Raum. Solange die Palästinensergebiete weiter in Fatahstan in der Westbank und Hamastan in Gaza geteilt sind, ist eine Friedenslösung ohnehin undenkbar. Warum sollte Israel einem Palästinenserstaat zustimmen, wenn es dafür nur einen halben Frieden bekommt? Zumal sich auch die Palästinenserführung in der Westbank nicht stark genug fühlt für einen Friedensschluss. Der US-Präsident hat die strategische Position Israels also geschwächt, ohne einen echten Weg zum Frieden aufzeigen zu können. Das ist mehr als nur naiv, es ist fahrlässig.

Welt.de

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Verratene Freiheit: Geleitwort von Henryk Broder
von Henryk M. Broder

Seit Jahren spielt der Iran mit dem Rest der Welt »Katz und Maus«, genau genommen seit mehr als 30 Jahren. Was mit dem Sturz des Schahs und der Rückkehr des Ajatollahs Khomeini aus seinem Pariser Exil nach Teheran begann, wird nun von Mahmud Ahmadinedschad und seinem Regime vollendet: der Aufbau einer Diktatur im Inneren und der Aufstieg des Landes zu einer Atommacht, die nicht nur mit ihren regionalen Nachbarn offene Rechnungen begleichen möchte.


Die europäischen Regierungen, die ihre bilateralen Beziehungen zu Österreich einfroren, als in Wien ein Kabinett unter Beteiligung der »Freiheitlichen« von Jörg Haider gebildet wurde, sehen der Entwicklung im Iran mit der Gelassenheit von Horror-Fans zu, die sich beim Zuschauen ein wenig gruseln, aber hoffen, die Geschichte werde schon irgendwie gut enden. Die einen aus ökonomischen Überlegungen, die anderen aus Rücksicht auf gewachsene historische Beziehungen, wie sie z.B. zwischen Deutschland und dem Iran seit über 100 Jahren gepflegt werden. Die europäische Friedensbewegung bzw. der klägliche Rest, der von ihr übrig geblieben ist, verteidigt das Recht des Iran auf die »friedliche Nutzung der Kernkraft « mit derselben Heftigkeit, mit der sie den Bau von Kernkraftwerken vor der eigenen Haustür bekämpft. Sie verurteilt nicht die Regierung des Iran wegen ihrer brutalen Innen- und aggressiven Außenpolitik, sondern rät den eigenen Regierungen von Sanktionen gegen den Iran ab, die nur zu einer »Eskalation« der Lage führen würden. Die hauptamtlichen Kaffeesatzanalysten, also die Politikberater und die Politikerklärer, betätigen sich gerne als Verharmloser, die über der Wirklichkeit schweben.

Der Nah- und Mittelostexperte Udo Steinbach beispielsweise hat im Jahre 2007 in seiner Eigenschaft als Präsident des Deutschen Orientinstituts in einem Zeitungsinterview erklärt, falls der Iran wirklich nach Atomwaffen strebe, dann nicht, um sie einzusetzen, sondern »um mit dem Westen auf gleicher Augenhöhe verhandeln zu können «. Vor allem ein Satz aus diesem Interview verdient es, für alle Zeiten festgehalten zu werden: »Europa wäre sicher das letzte Ziel, das dem Iran einfallen würde, falls er wirklich aggressive Absichten verfolgen sollte. Wenn eine Atommacht Iran entstünde und für irgendjemanden zur Bedrohung würde, dann eher für seine Nachbarn. Zum Beispiel für eine säkulare Türkei und natürlich für Israel. Ich glaube, dass Europa sich vom Iran in keiner Weise bedroht fühlen müsste.« Wenn es dem Iran also gelingen sollte, die säkulare Türkei oder Israel atomar zu pulverisieren, wäre das der natürliche Gang der Dinge, und solange der nukleare Fallout einen Bogen um das Ferienhaus von Udo Steinbach in der Holsteinischen Schweiz macht, müssen sich auch die übrigen Europäer keine Sorgen um ihr Wohlergehen machen.

Leute wie Steinbach bekommen Flankenschutz von Feuilletonisten wie der Schriftstellerin Katajun Amirpur, die nach sorgfältigem Studium der Ahmadinedschad-Reden zu der Überzeugung gekommen ist, der iranische Präsident wolle mitnichten Israel von der Landkarte austilgen, es würde ihm schon reichen, wenn das zionistische Regime »von den Seiten der Geschichte verschwinden« würde. Geht es um den Iran und seine Politik, scheint der Common Sense aufgehoben, beweist der gemeine Stammtisch oft mehr Sinn für Realitäten als die gebildeten Stände aus Wissenschaft und Politik, die gerne an Konferenzen und Tagungen mit Vertretern des Iran teilnehmen, um zu demonstrieren, dass sie sich »in keiner Weise« bedroht fühlen. Das alles findet vor dem Hintergrund einer politischen Moral statt, die für sich den Anspruch erhebt, aus der Geschichte gelernt zu haben, und den Ruf »Wehret den Anfängen!« zu ihrem Credo erhoben hat. Wird aber der Vergleich zwischen Ahmadinedschad und Hitler gezogen, geht die Antifa sofort in Kampfstellung: Damit werde Hitler verharmlost! In der Bundesrepublik steht zwar die Holocaustleugnung unter Strafe, aber das gilt nur für den letzten, nicht für den nächsten Holocaust. Der wirkliche Unterschied zwischen dem Dritten Reich und dem Iran von heute wird dabei geflissentlich übersehen: Es gab zur Zeit der Nazis kein Internet, keine Handys, mit denen man Filme machen und verschicken konnte, keine E-Mails und kein Skype. An den Rampen der Konzentrationslager standen keine Webcams, um die Ankunft der Transporte live zu übertragen. Der Widerstand war auf Kuriere angewiesen, die ihr Leben riskierten, um Nachrichten von Polen nach England oder umgekehrt zu bringen. Heute hingegen erleben wir alles in Echtzeit: Wir sind dabei, wenn die Twin Towers kollabieren und wenn die Demonstranten in Teheran auf die Straße gehen; wir nehmen an Erhängungen von Homosexuellen und an Steinigungen von Ehebrecherinnen teil. Niemand kann sich darauf berufen, dass die Untaten des Regimes im Halbdunkel unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, denn sie finden bei hellem Tageslicht vor unser aller Augen statt. Mögen die Mullahs auch keine Autobahnen und keine Gaskammern bauen – für das aufgeklärte, historisch alerte Europa müsste es reichen, wie sie die Baha’i behandeln und dass sie nach der Atombombe streben, um – wie Udo Steinbach sagt – »mit dem Westen auf gleicher Augenhöhe verhandeln zu können«.

Dieses Ziel haben sie bereits erreicht. Der Westen droht zwar seit Jahren mit Sanktionen, geht aber jedes Mal in die Knie, wenn die Mullahs zum Gebet rufen. Und so ist er auch der iranischen Protestbewegung in den Rücken gefallen, indem er ihr Freiheitsbedürfnis mit salbungsvollen Worten gewürdigt hat, um es anschließend zu verraten. Gernot Erler etwa, in der Großen Koalition Staatsminister im Auswärtigen Amt, verurteilte das Verhalten der iranischen Autoritäten, lobte den »unglaublichen Mut« der Demonstranten und forderte Maßnahmen, um die »Wahlmanipulation aufzuklären«. Zugleich aber sprach er sich dagegen aus, die diplomatischen Beziehungen zu Teheran abzubrechen: »Das wäre eine völlig falsche Reaktion, denn wir müssen gerade jetzt unsere Kontakte, unsere Möglichkeiten und auch unsere Einflusschancen nutzen, um das Schlimmste zu verhindern.« Was das in der Praxis bedeutet, machte Erler in einem Interview deutlich: »Das Einzige, was die Bevölkerung im Iran, die da so mutig ist, von uns erwarten kann, ist, dass wir das zur Kenntnis nehmen, was da passiert, dass wir darüber reden, dass wir das anprangern.« Das waren klare Worte, wie weit die Bundesrepublik zu gehen bereit ist, um das Teheraner Regime politisch abzumahnen – die Freiheit der Iraner war der deutschen Regierung nicht einmal eine zivile Sanktion wert. Wenn die lange Nacht der Ohnmacht und des Terrors eines Tages vorbei ist, werden sich manche Iraner daran erinnern, dass Gernot Erler im Auftrag der deutschen Regierung ihre Situation »zur Kenntnis« genommen hat.

Ein Auszug aus:
Verratene Freiheit - Der Aufstand im Iran und die Antwort des Westens
Thomas von der Osten-Sacken, Oliver M. Piecha, Alex Feuerherdt
Verbrecher Verlag, 2010

Cicero.de

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