Kritiker des Islam
Unsere heiligen Krieger
Von Claudius Seidl
10. Januar 2010
Seit ich das Vorwort zur Taschenbuchausgabe von Henryk M. Broders Sachbuch „Hurra, wir kapitulieren!“ gelesen habe, erwarte ich stündlich einen Anruf dieses Herrn: „Aha, Sie glauben also auch an diese abscheuliche Religion, deren Anhänger in Irland schon wieder Bomben werfen, die Teufelsaustreibung immer noch im Programm haben und in Polen junge Frauen terrorisieren, die aus Not und Verzweiflung abgetrieben haben?“
„Wenn Sie den Katholizismus meinen: der lehnt Bomben ab und fordert zum Verzeihen auf. Und den Teufel sehen wir auch differenzierter.“ „Warum weisen Sie dann diese Verbrecher nicht in die Schranken?“ „Wenn Sie mir die Adresse sagen, schicke ich gern Protestnoten an alle IRA-Splittergruppen, Abtreibungsgegner und auch an die letzten Exorzisten. Ich bin mir sicher, das wird Eindruck machen.“
Eine zynische Aussage
Natürlich wäre ein solches Telefongespräch selbst Henryk M. Broder zu bescheuert - aber genau so, nur auf eine andere Religion übertragen, funktioniert die Logik, mit welcher Broder begründen will, warum er jede Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus als irrelevant zurückweist: Ja, klar, die allermeisten Muslime, 99,9 Prozent, wie Broder kurz mal schätzt, seien friedliche Menschen, welche von den 0,1 Prozent nur als Geiseln genommen würden. Aber, so Broder weiter, da müsse man doch mal „die logische Anschlussfrage stellen, warum sich 99,9 Prozent von 0,1 Prozent missbrauchen und als Geiseln nehmen lassen, ohne die kleine radikale Minderheit in Schranken zu weisen . . .“
Mal abgesehen davon, dass, was Broder da als Logik bezeichnet, so absurd ist, dass man sich fragt, ob der Autor wirklich selber daran glaubt, ist die Aussage, die in der Frage steckt, nicht nur falsch, sie ist auch zynisch. Weitaus die meisten Opfer, die der Terror im Namen Allahs fordert, haben selber an Allah geglaubt - weil man aber Menschen, deren Waffe ein Sprengstoffgürtel ist oder ein Auto voller Dynamit, an dessen Steuer sie selber sitzen, nur schwer für ihre Taten vor Gericht stellen kann, sind es die vermuteten und vermeintlichen Hintermänner, die in ägyptischen und irakischen Gefängnissen sitzen. Und die Frau in Bagdad, deren Sohn gerade von einer Autobombe zerfetzt worden ist; die junge Afghanin, die sich fürchtet davor, dass die Taliban, falls sie siegten, sofort die Schulen wieder schließen würden: Die haben womöglich andere Sorgen, als dass sie Zeit fänden, dem Herrn Broder im fernen Deutschland zu versichern, wie dringend sie dieTerroristen in die Schranken weisen möchten.
Ein System mit totalitärem Anspruch
Man könnte jetzt Henryk M. Broders gesammelte Meinungen als irrelevant zurückweisen, schon weil dieser Autor mit dem Anfertigen sogenannter Pointen (eine seiner besten: der Islam verhalte sich zum Islamismus wie der Terror zu Terrorismus) zu beschäftigt ist, als dass er Zeit fände für einen klaren Gedanken oder eine wirklich schlüssige Analogie - wenn Broder nicht nur besonders derb und drastisch formulierte, was auch andere behaupten, Menschen, die tatsächlich etwas vom Islam verstehen, weil sie in muslimischen Ländern aufgewachsen sind, unter muslimischen Sitten und Unsitten gelitten haben und ihre Meinungen mit eigener Erfahrung begründen können, Frauen also wie die sympathische Necla Kelek, Deutsche türkischer Herkunft, oder Ayaan Hirsi Ali, die niederländische Autorin und Politikerin somalischer Herkunft, die am eigenen Leib spüren musste, welche Grausamkeiten eine patriarchalische Gesellschaft im Angebot haben kann.
Necla Kelek besteht auf der kategorischen Unterscheidung zwischen dem, was der Westen unter Religion versteht, und dem Islam, der eben mehr sei, nicht bloß ein Glaube, ein Bekenntnis, sondern ein System mit totalitärem Anspruch, welches Unterwerfung fordere, von jedem Einzelnen wie von der ganzen Gesellschaft; eine Ideologie, mit der Kompromisse wie die Trennung von Kirche und Staat und die Freiheit eines jeden, zu glauben, was er wolle, leider nicht möglich seien: Der Terror und der sogenannte Ehrenmord, die Unterdrückung der Frau und der Hass auf alle Ungläubigen, das seien nicht etwa Auswüchse, sondern nur besonders unangenehme Merkmale des Islams.
Ayaan Hirsi Ali ist neulich, in einer Verteidigungsschrift fürs Schweizer Minarettverbot, noch weiter gegangen: Das Minarett, so schrieb sie im „Christian Science Monitor“, sei nicht etwa das Pendant zum Kirchturm der Christenheit (obwohl es ja dem gleichen Zweck dient und die architekturgeschichtliche Arbeitshypothese nicht ganz abwegig ist, wonach die Christen, deren Basiliken jahrhundertelang ohne Türme in der Landschaft standen, vom Anblick muslimischer Minarette zur Erfindung des Kirchturms inspiriert worden seien) - vielmehr sei das Minarett als Zeichen zu lesen, als Herrschaftszeichen einer totalitären und verbrecherischen Weltanschauung, vergleichbar nur Hammer und Sichel und dem Hakenkreuz. Auch Ayaan Hirsi Ali ist überzeugt davon, dass, wer den Dschihad, die Ehrenmorde und die Unterdrückung der Frauen nicht will, auch gleich auf den Islam verzichten könne.
Wann ging dann der Dschihad des Westens zu Ende?
Diese Befunde sind schon deshalb deprimierend, weil sie keinen anderen Schluss zulassen, als dass die Muslime in unsere westlichen, säkularisierten Gesellschaften nicht integriert werden können - es sei denn, sie hörten auf, Muslime zu sein. Und als Bewohner der westlichen, säkularisierten Welt, als Deutscher, dessen Begegnungen und Erfahrungen mit der muslimischen Welt sich auf Besuche in Kreuzberg, Istanbul und Brooklyn, ein paar türkisch-deutsche, arabische und pakistanische Freunde, Bekannte, Kommilitonen sowie das intensive Studium der Geschichten aus tausendundeiner Nacht beschränken, als so ein Nichtwisser und Nichtversteher traut man sich erst mal gar nicht, den Kritikern und Feinden des Islams zu widersprechen.
Es muss aber sein, und je genauer man sich die Argumente anschaut, desto klarer wird auch, dass sich die Gegenargumente eher in der westlichen Geistes- und Religionsgeschichte finden, in unseren Verfassungen und Menschenrechtserklärungen - und, nur nebenbei, in der Erinnerung an einige folkloristische Eigenheiten Siziliens, Kalabriens, des Balkans, welche uns darauf weisen, dass ein mörderisches Verständnis von Ehre und Jungfräulichkeit, die Blutrache und die brutale Unterdrückung der Frauen keine Spezialität des Islams sind, sondern dass sich archaische und grausame Formen des Patriarchats in den abgelegenen Gebieten des Südens so lange hielten, bis der Rechtsstaat und die Lockerung der Sitten sich endlich auch dort durchgesetzt hatten (vor kurzem also; oder auch: noch immer nicht ganz).
Nicht jedes Argument ist so leicht zu kontern wie Necla Keleks Vermutung, der Dschihad habe tausend Jahre lang gedauert und sei erst 1683, vor Wien, endlich aufgehalten worden, als die kaiserlichen, die polnischen, badischen und bayerischen Truppen die osmanische Armee schlugen und zurückdrängten. Wenn aber die imperialen Kriege der Osmanen heilig waren: Wann ging dann der Dschihad des Westens zu Ende? Mit der fast vollständigen Ausrottung der Ureinwohner Nordamerikas? Oder mit den letzten Zuckungen des Kolonialismus, der sich ja auch dadurch legitimierte, dass er die Bekehrung und Zivilisierung der Heiden als Ziel vorgab?
Ein Rassismus, seiner selbst nicht bewusst
Schwerer wiegt schon die Forderung, der Islam solle sich gefälligst endlich selbst aufklären; solle seinen Anspruch auf die Scharia und das Supremat über den Staat aufgeben und die universalen Menschen- und Freiheitsrechte anerkennen. Das klingt einerseits vernünftig - und übersieht doch, dass die Aufklärung und Säkularisation des christlichen Abendlandes nicht im Vatikan beschlossen und in den Bistümern und Gemeinden exekutiert wurde, sondern dass dieser Prozess fast tausend Jahre dauerte und dass der Weg dahin gesäumt war mit Scheiterhaufen und Bannflüchen, der heiligen Inquisition und Ketzerprozessen, deren Urteile erst im 20. Jahrhundert aufgehoben wurden. Immerhin war dies ein Konflikt mit offenem Ausgang; wer für die Menschenrechte stritt, durfte sich auf der richtigen Seite glauben und auf eine bessere Zukunft hoffen. Der muslimischen Welt dagegen steht heute der aufgeklärte Westen in seiner ganzen Dialektik schon gegenüber - die Segnungen dieser Aufklärung zu genießen ist, nicht zuletzt wegen der unfähigen, korrupten, diktatorischen und ganz und gar unislamischen Regime, so oft völlig unmöglich; die Nachteile kann man aber auch in Ägypten oder Indonesien sehr gut besichtigen. Und wenn schon wir verwöhnten Westler manchmal leiden am Tempo, dem Druck und der Kälte der westlichen Verhältnisse, sollten wir nicht allzu heftig fordern, dass jeder syrische Bauer aber diese Verhältnisse ganz dringend herbeisehnen möchte. Religion sei Opium fürs Volk, schreibt Broder, der auch seinen Marx nicht kennt. Religion ist aber das Opium des Volkes, der Seufzer der bedrängten Kreaturen, von denen es in der muslimischen Welt zu viele gibt, als dass der Hohn Henryk M. Broders sie noch groß kümmern müsste.
Was uns aber kümmern muss, ist, wenn im Namen der universalen Menschenrechte genau diese Rechte zur Folklore des Abendlands gemacht werden sollen - wenn also einer wie Broder das Prinzip „Wie du mir, so ich dir“ im Umgang mit der muslimischen Welt vorschlägt: Wenn wir Kirchen und Synagogen in Mekka bauen dürfen, lassen wir euch Moscheen in Rom bauen. Wenn unsere Frauen nabelfrei durch Riad bummeln können, lassen wir eure Frauen verschleiert auf die Maximilianstraße. Klingt nur fair, ist aber, erstens, eine Selbsterniedrigung aufs Niveau orientalischer Verhältnisse; zweitens, weil „wir“, nach vollzogener Einbürgerung, eben auch Muslime und Kopftuchträgerinnen sind, ein Rassismus, der sich seiner selbst nur nicht bewusst ist.
Und drittens möchte man da nur noch Voltaire zitieren: Ich mag Ihr Kopftuch nicht. Aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sich kleiden dürfen, wie Sie wollen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Dienstag, 30. März 2010
Kritiker des Islam: Unsere heiligen Krieger
Der Vollständigkeit halber hier der Artikel von Claudius Seidl, der im Januar eine abstrakte Debatte angestossen hat, ob die Kritik am Islam überhaupt gerechtfertigt oder zu übertrieben sei.
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