Montag, 22. März 2010

Obama boxt die Gesundheitsreform durch

Endlich kann Barack Obama einen politischen Erfolg vorweisen, wenn auch einen sehr knappen: Die Gesundheitsreform ist mit knapper Mehrheit vom Senat bestätigt worden. Jetzt hat jeder Amerikaner die Pflicht, sich krankenversichern zu lassen. Erstens ist es zweifelsohne besser (arme Menschen sind bislang dreckig verreckt) für das amerikanische Volk, zweites dürfte es Obamas Position stärken und die Chancen einer Wiederwahl erhöhen.

Reform durchgeboxt
Obama feiert historischen Gesundheitstriumph

Bis zuletzt bangten, feilschten, kämpften die Demokraten um die nötigen Stimmen - und es reichte tatsächlich: Das US-Repräsentantenhaus hat die umstrittene Gesundheitsreform abgesegnet. Es ist eine historische Entscheidung. Und ein wichtiger Sieg für Präsident Obama.


Washington - Nach einem Jahr heftiger Auseinandersetzung hat es Barack Obama trotz aller Widerstände geschafft: Mit der Verabschiedung der Gesundheitsreform im Kongress konnte der US-Präsident sein wichtigstes innenpolitisches Ziel umsetzen. Das Gesetz wurde am Sonntagabend im Repräsentantenhaus mit 219 zu 212 Stimmen gebilligt. Der Senat, die zweite Kammer des US-Kongresses, hatte bereits im Dezember zugestimmt.

Das sind die Eckpunkte der Reform:

* Eine Grundversicherung wird für die allermeisten Amerikaner zur Pflicht: 32 Millionen bislang unversicherte Amerikaner sollen eine Absicherung im Krankheitsfall bekommen. Die bisherige Gesundheitsversicherung für Bedürftige, Medicaid, wird erheblich ausgeweitet. So soll erreicht werden, dass am Ende 95 Prozent der US-Bürger versichert sind. Derzeit sind es 83 Prozent.
* Versicherungen dürfen Versicherungsnehmer nicht mehr wegen deren Krankengeschichte ablehnen oder bestehende Verträge kündigen, wenn eine mit hohen Kosten verbundene Krankheit eintritt. Die Konzerne dürfen auch keine Aufschläge mehr wegen des Geschlechts oder des Gesundheitszustands von Versicherten verlangen.
* Staatliche Unterstützung erhalten auch Familien mit einem Jahreseinkommen bis 88.000 Dollar (65.000 Euro). Eltern können ihre Kinder bis zu einem Alter von 26 Jahren in ihrer Familienversicherung einbeziehen.
* Die Kosten der Reform für den Staat: 940 Milliarden Dollar (696 Milliarden Euro) über zehn Jahre. Finanziert werden die Ausgaben zum Teil mit einer höheren Abgabenlast für Haushalte mit einem Einkommen von mehr als 200.000 Dollar (147.600 Euro) bei Ledigen oder 250.000 Dollar (184.500 Euro) bei Verheirateten.

Obama trat schon rasch nach der Entscheidung erleichtert vor die Kameras: "Wir haben bewiesen, dass wir immer noch ein Volk sind, das Großes leisten kann", sagte er. Mit der "radikalen Reform" habe die Regierung bewiesen, dass sie für die Menschen da sei.

Knappe Mehrheit

Bis zuletzt hatte der Präsident um noch wankelmütige Abgeordnete in den eigenen Reihen geworben. Das ganze Wochenende über hatten Obama und die Parteispitze daran gearbeitet, skeptische Parlamentarier in den eigenen Reihen zu einem Ja zu bewegen. So kam der Präsident am Vorabend der Abstimmung eigens ins Washingtoner Kapitol, um Wackelkandidaten auf seine Linie zu bringen. "Es liegt in Ihren Händen", beschwor er seine Parteifreunde."Es ist an der Zeit, die Gesundheitsreform zu verabschieden. Ich bin überzeugt davon, dass wir sie am Sonntag verabschieden. Lasst uns die Sache zu Ende bringen."

Mit drei Stimmen über der erforderlichen absoluten Mehrheit fiel die Abstimmung denn auch denkbar knapp aus. In den Reihen der demokratischen Regierungspartei schlossen sich 34 Abgeordnete den oppositionellen Republikanern an und stimmten gegen das Gesetz. Ein in letzter Minute erzielter Kompromiss in der Frage der Finanzierung von Abtreibungen verhinderte, dass sich noch mehr Demokraten des konservativen Flügels dem Weißen Haus widersetzten.

Das Gesetz kann nun zur Unterzeichnung ans Weiße Haus gehen. Es wird erwartet, dass der Präsident die Reform bereits am Dienstag in Kraft setzt.

Unabhängig davon findet noch ein Gesetzgebungsverfahren mit Änderungen an der gerade verabschiedeten Reform statt. Das Repräsentantenhaus verabschiedete die entsprechende Vorlage mit 220 zu 211 Stimmen. Dieses Gesetz geht nun noch an den Senat.

Kosten von mehr als 900 Milliarden Dollar

Zum Abschluss der teilweise emotional geführten Diskussion hatte Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi die Abgeordneten der demokratischen Mehrheitspartei aufgerufen, "Geschichte für unser Land zu schreiben". Die Republikaner bekräftigten bis zuletzt ihre Ablehnung des Reformwerks. Sie kritisierten vor allem die hohen Kosten von mehr als 900 Milliarden Dollar und das Vordringen staatlicher Regulierung in einen bisher privat geregelten Bereich.

Außerdem warnten sie davor, dass die Gesundheitsreform zu Kürzungen bei der bisherigen Krankenversicherung für Senioren mit der Bezeichnung Medicare führen werde. "Wir haben versagt, auf Amerika zu hören", sagte der republikanische Minderheitsführer John Boehner.

Die Wende bei der Debatte im Repräsentantenhaus kam, als eine Gruppe konservativer Demokraten um den Abgeordneten Bart Stupak ihre Ablehnung des Reformwerks aufgab. Im Gegenzug musste Obama eine Anordnung zusagen, die finanzielle Hilfen des Bundes für Abtreibungen ausdrücklich untersagt. Das ist zwar bereits geltendes Gesetz. Nun sollen aber "zusätzliche Sicherheiten" verankert werden, dass das auch tatsächlich geschehe und künftig auch nicht geändert werde, hieß es vom Weißen Haus. "Wir haben eine Einigung gefunden, durch die die Unantastbarkeit des Lebens in der Gesundheitsreform respektiert wird", sagte Stupak.

Tumulte vor der Abstimmung

Vor dem Kapitol demonstrierten lautstark Gegner der Reform. Einige drangen in das Parlamentsgebäude ein und wurden von Sicherheitskräften festgenommen.

Demokraten betonten die historische Tragweite des Gesetzes: "Jeder Präsident des vergangenen Jahrhunderts sagte, dass dies für eine große Nation eine Notwendigkeit ist", sagte der demokratische Mehrheitsführer im Abgeordnetenhaus, Steny Hoyer. Die konservative Opposition hingegen kritisierte abermals die Kosten der Reform und warnte vor zu großen Eingriffen des Staates. "Werden wir den Pfad der Freiheit wählen oder den Pfad der Regierungstyrannei?", fragte der republikanische Abgeordnete Ted Poe. Sein Parteikollege Paul Ryan nannte das Gesetz einen "haushaltspolitischen Frankenstein".

Spiegel Online

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen